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Wissenschaftler fordern Kurswechsel in der Klimapolitik des Gebäudesektors

Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor

14.11.2024 - Berlin

Prof. Dirk Hebel, Prof. Dietmar Walberg, Prof. Elisabeth Endres und Prof. Werner Sobek (v.l.n.r,  nicht im Bild: Prof. Manfred Norbert Fisch). Foto: Georg Johannes Lopata / axentis.de 
Prof. Dirk Hebel, Prof. Dietmar Walberg, Prof. Elisabeth Endres und Prof. Werner Sobek (v.l.n.r, nicht im Bild: Prof. Manfred Norbert Fisch). Foto: Georg Johannes Lopata / axentis.de

Fünf renommierte Wissenschaftler aus den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen haben am 14. November 2024 in Berlin ihre neue „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ und ihr Manifest für eine nachhaltige, kosteneffiziente und sozial verträgliche Klimapolitik im Gebäudesektor vorgestellt. Darin kritisieren sie die seit vielen Jahren einseitige Fokussierung auf immer höhere Energieeffizienzstandards und fordern einen politischen Richtungswechsel.

Die fünf Gründer der Initiative sind Prof. Dirk Hebel, Prof. Dietmar Walberg, Prof. Elisabeth Endres, Prof. Werner Sobek und Prof. Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch. „Die historisch gewachsene, alleinige Fokussierung auf Energieeinsparung im Gebäudesektor ist gescheitert! Nur ein Paradigmenwechsel im Klimaschutz bei Gebäuden auf einen Praxispfad, der die Reduzierung von Treibhausgasemissionen ins Zentrum unseres Handelns rückt, ist finanzierbar, stellt die Erreichung der Klimaschutzziele sicher und gewährleistet bezahlbares Wohnen“,so die Autorinnen und Autoren.

Das Manifest der Wissenschaftler

Die Präsentation zum Manifest

Die Pressemitteilung der Wissenschaftler

Hintergrund Manifest


Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor

Das Manifest ist Gründungsdokument der „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“. Ziel der Initiative ist es, einen breiten Diskurs in der Öffentlichkeit zu organisieren. Die Initiatoren fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft und Politik dazu auf, der Initiative beizutreten.

Die „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor" definiert fünf Kernpunkte für klimapolitisches Handeln. Demnach soll die Wärmeversorgung möglichst schnell auf emissionsfreie Energieträger umgestellt und von kostspieligen Sanierungstiefen der Gebäudehülle (Heizwärmebedarf unter 75 kWh/(m2a)) Abstand genommen werden.

Etwa Zweidrittel aller Mehrfamilienhäuser sind bereits teilsaniert oder wurden nach Einführung der Energieeinspar-Verordnung (EnEV 2002) gebaut. Diese Gebäude sind i.d.R. niedertemperaturfähig und damit für den Einsatz von Wärmepumpen geeignet. Die oft zu hörende Meinung, dass vor dem Einbau einer Wärmepumpe die Heizkörper ausgetauscht werden müssen oder eine Fußbodenheizung eingebaut werden muss, ist eine Fehleinschätzung wie umgesetzte Beispiele zeigen.

Darüber hinaus soll die politische Regulierung stark vereinfacht und auf einen CO2-Emissionsreduktionspfad abgestellt sowie der Erhalt von Bestandsgebäuden gefördert werden.


Die fünf Kernforderungen der Wissenschaftler: Paradigmenwechsel für mehr Klimaschutz

  1. Emissionsfreie Wärmeversorgung:
    Fossile Energieträger müssen zügig durch emissionsarme Technologien wie Wärmepumpen und die Nutzung industrieller Abwärme ersetzt werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien auf Quartiersebene wird hierbei priorisiert wie bilanzielle Ansätze auf der Ebene von Gebäudeflotten und Quartieren im Allgemeinen und hier insbesondere die gebäudeübergreifende bilanzierbare Nutzung von Solarenergie.

  2. Maßvolle Sanierung:
    Statt kostspieliger überzogener Sanierungstiefen fordern die Experten eine Sanierung, die sich an der Lebensdauer der Bauteile orientiert und unnötige Kosten vermeidet.

  3. Effiziente Wärmepumpen-Nutzung:
    Moderne Wärmepumpen sind bereits für teilsanierte (ab EnEV 2002) oder moderat sanierte Gebäude geeignet, was den Sanierungsdruck mindert und trotzdem eine klimaschonende Wärmeversorgung ermöglicht.

  4. Einführung eines Emissionsminderungspfads:
    Statt unübersichtlicher Regelungen plädieren die Wissenschaftler für einen verbindlichen Emissionsminderungspfad bis 2045, der klare Reduktionsziele für Gebäudeemissionen setzt und durch eine unabhängige Emissionsagentur überwacht wird.

  5. Förderung von Bestandserhalt und Kreislaufwirtschaft:
    Neubauten sollen strengen Emissionsgrenzen entsprechen, während der Erhalt bestehender Gebäude die Nutzung grauer Energie maximiert und Abfall reduziert.

Diskussionsbeitrag der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau

Die Bayerische Ingenieurekammer-Bau begrüßt die Inhalte und Kernpunkte des Manifestes grundsätzlich und beteiligt sich gerne an der notwendigen Diskussion über die besten Wege zur Zielerreichung. Als problematisch werden jedoch folgende Punkte eingeschätzt:

  1. In den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten wird keine so große Menge regenerativer Energien zur Verfügung stehen, dass die Beheizung ohne wärmetechnische Verbesserung der Gebäude sichergestellt werden kann. Die wärmetechnische Ertüchtigung der Gebäude ist daher unerlässlich.

  2. Die Wirtschaftlichkeitsberechnungen sind aus unserer Sicht unvollständig, da Kosten für den Umbau der Infrastruktur, insbesondere der Stromnetze für einen erhöhten Strombedarf nicht eingerechnet wurden. Hier ist eine gesamtvolkswirtschaftliche Betrachtung der Kosten erforderlich.

  3. Für Verbraucher entstehen auch bei der Nutzung von regenerativen Energien die Kosten aus dem Endenergieverbrauch.

Warum die derzeitige Strategie im Gebäudesektor gescheitert ist

Im Manifest fassen die Wissenschaftler ihre in jahrelanger Forschung erlangten Erkenntnisse zusammen. Sie unterstreichen, dass ein stärkerer Fokus auf CO2-Reduktion – und nicht allein auf Energieeinsparung – das Ziel der Klimaneutralität bei gleichzeitig bezahlbarem Wohnen erreichbar machen kann.

„Mit unserem Praxispfad CO2-Reduktion senken wir die im Vergleich zum heutigen Szenario benötigten Fördermittel um fast zwei Drittel, von jährlich 50 auf 18 Milliarden Euro. Damit zeichnen wir ein realistisches Szenario für die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor, weil mit unserem Weg die knappen Ressourcen im Finanzbereich, aber auch im Bausektor sinnvoller eingesetzt werden“, sagt Prof. Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch, einer der fünf Gründer der Initiative.

„Zudem berücksichtigen wir mit unserem Ansatz auch die Treibhausgasemissionen, die durch den Bau der Bestandsgebäude bereits entstanden sind bzw. jene, die durch Neubau noch entstehen würden“, sagt Prof. Dirk Hebel, Gründer der Initiative.Und Initiativengründer Prof. Dr. Werner Sobek ergänzt: „Wir müssen den CO2- Emissionen einen angemessenen Preis geben. So können wir den Weg zur Erreichung des Klimaziels realistischer planen und sozial gerechter gestalten“.

Die aktuellen Ansätze, die sich auf maximale Energieeffizienz und umfassende Sanierungsmaßnahmen stützten, seien weder finanzierbar noch klimawirksam genug, folgert das Manifest der Wissenschaftler. „Was wir benötigen, ist kein blindes Streben nach höchster Energieeffizienz, sondern eine praxisorientierte Politik, die auf die Senkung der Treibhausgasemissionen abzielt“, sagt Prof. Elisabeth Endres, Gründerin der Initiative. 

„Wir fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft auf, den Diskurs mit uns zu führen und sich dieser Initiative anzuschließen”, ergänzt Prof. Dipl.-Ing. Dietmar Walberg, der ebenso Gründer der Initiative und Erstunterzeichner des Manifestes ist.


Da sagen die Gründerin und Gründer der Initiative

Prof. Elisabeth Endres, Professorin an der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften der TU Braunschweig; Leiterin des Instituts für Bauklimatik und Energie der Architektur, TU Braunschweig, Mitglied der Geschäftsführung des Ingenieurbüros Hausladen. Sie ist Architektin und bekannt für ihre Arbeit an nachhaltigen und innovativen Energie- und Gebäudekonzepten, insbesondere im Diskurs von Architektur und technischen Systemen mit Fokus der Vereinfachung im Bauwesen.

Prof. Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch, em. Professor der Fakultät Architektur der TU Braunschweig und ehem. Leiter des Instituts für Gebäude- und Solartechnik (IGS) der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umwelttechnik; Leiter des Forschungsinstituts SIZ- energieplus, Braunschweig / Stuttgart; Gründer und Geschäftsführer der Ingenieurgesellschaft EGS-plan, Stuttgart; Initiator und Entwickler des Forschungsvorhabens „Klimaneutrales Stadtquartier – Neue Weststadt Esslingen”. Er ist spezialisiert auf ganzheitliche Energiekonzepte für Gebäude und Quartiere, die technische Nutzung der Solarenergie sowie die Produktion von grünem Wasserstoff. Er hat zahlreiche Auszeichnungen im Bereich der Bauphysik, Gebäude- und Solartechnik erhalten.

Prof. Dirk Hebel, Professur für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Karlsruhe; Vize-Dekan für strategische Weiterentwicklung der Fakultät für Architektur, KIT Karlsruhe; Zuvor lehrte und forschte er in Äthiopien, Singapur, den USA und der Schweiz. Er ist Mitbegründer und Partner von 2hs Architekten und praktiziert Architektur mit einem Fokus auf ressourcengerechtes Bauen und kreislaufgerechten Materialeinsatz.

Prof. Dr. Dr. E.h. Dr. h.c. Werner Sobek, em. Professor an der Universität Stuttgart, Gründer des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK), Stuttgart; Ehem. Mies van der Rohe Professor am Illinois Institute of Technology, Chicago. Er ist Gründer eines global tätigen Planungsbüros und erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Beiträge zur Bau- und Ingenieurwissenschaft; Mitbegründer und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB).

Prof. Dipl.-Ing. Dietmar Walberg, Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Lübeck, Leiter des Fachgebiets Nachhaltiger Wohnungsbau am dortigen Fachbereich Bauwesen. Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. (ARGE//eV). Er ist Experte für Baukostensenkung und Klimaneutralität im Wohnbau mit umfassender Beratungstätigkeit für öffentliche Bauvorhaben.


Haushaltskrise als Katalysator für dringend notwendige Reformen

Vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltsdebatten und der gescheiterten Ampel-Koalition wird eine Kurskorrektur umso dringlicher. Die bisherigen Förderansätze übersteigen die finanzielle Belastungsgrenze des Bundeshaushalts bei weitem, so die Wissenschaftler.

Die Wissenschaftler rufen insbesondere die Entscheidungsträger in der Politik dazu auf, die Klimapolitik für den Gebäudebereich von Grund auf zu überdenken und sie auf realistisch, erreichbare CO2-Reduktionsziele auszurichten – und nicht den Weg durch einen Dschungel von Gesetzen und Verordnungen dahin vorzuschreiben. In Anbetracht der gescheiterten Regierung und der drängenden Haushaltsprobleme seien die klimapolitischen Maßnahmen in den kommenden Monaten von entscheidender Bedeutung.


GdW tritt Initiative bei

Angesichts der Dinglichkeit des Themas für die Wohnungswirtschaft tritt der GdW der „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor" bei. Er fordert die politischen Entscheidungsträger auf, die kommenden Neuwahlen als Chance für einen neuen Ansatz zu nutzen. 

„Ein Kurswechsel in der Klimapolitik ist zwingend notwendig, um eine ökonomisch machbare, sozial gerechte und ökologische Wende im Gebäudesektor zu schaffen“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des GdW – Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen. „Es gilt, praxisorientierte Lösungen zu fördern, die die Klimaziele erreichbar machen und die sozialen Belastungen für Mieter und Vermieter in Grenzen halten“.

Download

Das Manifest der Wissenschaftler

Die Präsentation zum Manifest

Die Pressemitteilung der Wissenschaftler

Hintergrund Manifest

Pressekonferenz: Manifest für einen Kurswechsel in der Klimapolitik für den Gebäudesektor

Quellen: Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor, GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V., Titelfoto: Georg Johannes Lopata / axentis.de, Grafik Zitate: GdW

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