21.10.2022 - Stuttgart
Die Glasfassade eines Hochhauses kann so heiß werden, dass man darauf Spiegeleier braten kann – ein wesentlicher Faktor für die Überhitzung unserer Städte. Andererseits produzieren Hochwasserereignisse jährlich Schäden in Milliardenhöhe. An der Universität Stuttgart wurde jetzt eine hydroaktive Fassade vorgestellt, die nicht nur Außenwände und das Gebäudeinnere, sondern auch den Stadtraum kühlt. Die textilen Fassadenelemente mit dem Namen „HydroSKIN“ nehmen dafür bei Regen Wasser auf und geben dieses an heißen Tagen zur Verdunstungskühlung wieder ab.
Das Luftbild der Metropole Singapur, aufgenommen mit einer Wärmebildkamera,
zeigt viele orange-rote Flecke und nur einen grün-blauen. Die roten Zonen
repräsentieren bebaute Gebiete. Dort sind die Temperaturen um rund 10 Grad
höher als in den „grünen“ Parks.
Der Grund dafür: Über natürliche Oberflächen verdunsten rund 60 Prozent des eintreffenden Regenwassers und sorgen so für Abkühlung. Versiegelte Straßen- und Gebäudeoberflächen lassen dagegen nur 10 Prozent Wasserverdunstung zu. Die restlichen 90 Prozent gelangen in die Kanalisation und führen zu einem weiteren weltweiten Problem: verheerende Überschwemmungen durch Starkregen. Steigende Urbanisierung, bauliche Verdichtung und zunehmende Flächenversiegelung verschlimmern – neben den Auswirkungen des Klimawandels – Hitze- und Hochwasserrisiken in unseren Städten.
Eine Ertüchtigung der Kanalisation zur Bändigung der stetig zunehmenden Wassermassen würde einen enormen baulichen Aufwand mit sich bringen. Zudem sei dies in Zeiten knapper Ressourcen keine gute Lösung, meint Prof. Werner Sobek, bis 2020 Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart und früherer Sprecher des Sonderforschungsbereichs SFB 1244 Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen: „Hydroaktive Elemente dagegen stellen bei minimalem Ressourceneinsatz eine effektive Fassadenlösung zur Neutralisierung des städtischen Hitze-Insel-Effektes dar.“
Eine Ertüchtigung der Kanalisation zur Bändigung der stetig zunehmenden Wassermassen würde einen enormen baulichen Aufwand mit sich bringen. Zudem sei dies in Zeiten knapper Ressourcen keine gute Lösung, meint Prof. Werner Sobek, bis 2020 Leiter des Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart und früherer Sprecher des Sonderforschungsbereichs SFB 1244 "Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen": „Hydroaktive Elemente dagegen stellen bei minimalem Ressourceneinsatz eine effektive Fassadenlösung zur Neutralisierung des städtischen Hitze-Insel-Effektes dar.“
Das Kernelement der HydroSKIN ist ein so genanntes Abstandsgewirke, zwei
textile Lagen, die durch Fäden auf Abstand gehalten und dadurch gut
durchlüftet werden. Die hohe Luftzirkulation fördert die Verdunstung von
Wasser und verstärkt den Kühleffekt der Fassade. Das Gewirke ist an der
Außenseite von einer wasserdurchlässigen Textilhülle umgeben, die
nahezu alle Regentropfen eindringen lässt und gleichzeitig das Gewirke
vor Verunreinigungen schützt. Eine Folie an der Innenseite leitet das
Wasser in das untere Profilsystem ab. Von dort kann es, entweder in
einem Reservoir gespeichert oder direkt im Gebäude genutzt, den
Wasserverbrauch reduzieren. An heißen Tagen wird Wasser in das
Fassadenelement zurückgeleitet, verdunstet dort und sorgt so für den
natürlichen Kühleffekt.
„Dieses Fassadensystem stellt eine artifizielle Retentionsfläche zur Regenwasserrückhaltung und -verdunstung in der Gebäudefassade dar, die durch ihre optischen und haptischen Qualitäten nicht nur unglaublich schön ist, sondern zugleich einen Meilenstein für die Anpassung der gebauten Umwelt an die akuten Herausforderungen unserer Zeit darstellt“, erklärt Christina Eisenbarth, Akademische Mitarbeiterin am ILEK und Erfinderin von HydroSKIN.
Hochhäuser zeigen besonderes Potenzial zur Anwendung hydroaktiver Fassaden – und das nicht nur aufgrund ihrer großen Fassadenfläche. Zum einen trifft der Regen mit zunehmender Höhe als Schlagregen schräg auf die Fassade, so dass ab etwa 30 Metern Gebäudehöhe mehr Regen über die Fassade aufgenommen werden kann als von einer gleich großen Dachfläche. Zum anderen verstärken die hohen Windgeschwindigkeiten den Verdunstungskühleffekt und es entsteht ein kühler Luftstrom, der abwärts in den Stadtraum zieht.
Erste HydroSKIN-Elemente werden derzeit am weltweit ersten adaptiven
Hochhaus auf dem Campus Vaihingen der Universität Stuttgart getestet,
dem Flaggschiff des Sonderforschungsbereichs 1244 und ausgewähltes
Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA). „Die Ergebnisse sind
vielversprechend. Bereits in Laboruntersuchungen konnten wir ca. 10 Grad
Temperaturreduktion durch den Effekt der Evaporation nachweisen. Die
ersten Messungen am Hochhaus Anfang September weisen auf ein noch
deutlich höheres Kühlpotenzial hin“, erklärt Christina Eisenbarth.
Vorgestellt wurde HydroSKIN am 4. Oktober 2022 im Rahmen einer
Festveranstaltung im Beisein des Prorektors Forschung und
wissenschaftlicher Nachwuchs der Universität Stuttgart, Prof. Manfred
Bischoff, des Gründers des SFB 1244, Prof. Werner Sobek, des Sprechers
des SFB 1244 und Leiters des Instituts für Systemdynamik (ISYS), Prof.
Oliver Sawodny, des stellvertretenden Sprechers des SFB 1244 und Leiters
des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK), Prof.
Lucio Blandini, sowie weiteren rund 50 Teilnehmer*innen aus
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
Fachlicher Kontakt:
Christina Eisenbarth, Universität Stuttgart, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren, Tel.: +49 (0)711 685-66138, E-Mail
Dr. Walter Haase, Universität Stuttgart, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren, Tel.: +49 (0)711 685-68310, E-Mail
Quelle: Universität Stuttgart, Fotos:Christina Eisenbarth, ILEK /Christina EisenbarthSven Cichowicz,
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