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Ein Balanceakt auf Sandstein: Das neue Ludwig Erhard Zentrum in Fürth

Projekt von Kammermitgliedern in der Bayerischen Staatszeitung

08.06.2020 - München

Ein Balanceakt auf Sandstein: Das neue Ludwig Erhard Zentrum in Fürth

Unter dem Motto "Kein Ding ohne Ing." stellt die Bayerische Staatszeitung auf einer Sonderseite regelmäßig spannende Projekte von Kammermitgliedern vor. Im neuesten Artikel berichten Dipl.-Ing. Oliver Schwenke und Dr.-Ing. Alexander Hentschel von TRAGRAUM Ingenieure PartmbB über den Neubau des Ludwig Erhard Zentrums in Fürth. Lesen Sie hier den Artikel oder reichen Sie gleich selbst ein Projekt ein.

Neubau des Ludwig Erhard Zentrums in Fürth

Der Neubau des Ludwig Erhard Zentrums in Fürth entstand im Umfeld unterschiedlichster, anspruchsvoller Randbedingungen. Dass hier ein Gebäude von hoher Strahlkraft entstanden ist, welches nicht nur inhaltlich weit über die Region hinaus Bekanntheit erreicht, ist auch der intensiven Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team zu verdanken, das neue Qualitätsmaßstäbe für den Hochbau setzte.

Ein Zentrum für den „Vater des Wirtschaftswunders“

Der in Fürth geborene Ludwig Erhard war erster Wirtschaftsminister und zweiter Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Vor allem seine Wirtschaftspolitik beeinflusste die Ausrichtung der noch jungen Republik nachhaltig. Er führte nicht nur die D-Mark ein und hob die Preisbindung der Nachkriegszeit auf, sondern verfolgte vor allem eine Politik, die „Wohlstand für Alle“ proklamierte und war damit maßgeblich an den Wirtschaftswunderjahren der 1950er Jahren beteiligt.

An seinem Geburtsort in der Fürther Innenstadt, gegenüber seines Geburtshauses entstand das Ludwig Erhard Zentrum, ein in Deutschland einmaliges Dokumentations-, Ausstellungs-, Forschungs- und Begegnungszentrum für Ludwig Erhard und die Soziale Marktwirtschaft. Ein Zentrum, das den Anspruch hat, „diesen bedeutsamen historischen Ort dauerhaft zu erhalten und für die Öffentlichkeit und Wissenschaft zu erschließen“ (Zitat Ludwig Erhard Stiftung). Das Zentrum beinhaltet neben dem Museumsneubau mit Integration und Umnutzung der angrenzenden historischen Stallung auch die Sanierung des Geburtshauses.

Bauliche Erschließung eines schwierigen innerstädtischen Grundstücks

Es war kein einfach zu bebauendes Grundstück in der Fürther Innenstadt, das mit anspruchsvollen Randbedingungen aufwartete: Neben dem beengten Baufeld mit stark begrenzten Zufahrts- und Andienungsmöglichkeiten in einem denkmalgeschützten Umfeld galt es in der Konzeption und Umsetzung des Tragwerks den im Baufeld liegenden U-Bahnhof „Fürth-Rathaus“ mit querenden Tunnelröhren und einer bis zu 1,50m unter Gelände reichenden Zugangskalotte zu berücksichtigen. Dabei spielte bereits im Realisierungswettbewerb die Einbindung des bestehenden Aufzuges zum Bahnhof in den Neubau eine wesentliche Rolle. Aber gerade diese Randbedingungen waren es, aus denen sich kreative Tragwerkslösungen entwickelten.

Die bereits im Wettbewerb herausgearbeitete Grundrissflexibilität durch Stützenfreiheit in den Ausstellungsräumen in Verbindung mit höchsten Sichtbetonanforderungen und einem hohen Installationsgrad der Haustechnik sind Qualitäten, die das Gebäude in seiner Gänze zum Ingenieurbauwerk machen. Gebäudekubatur, Tragwerk, Fassade sowie raumbildender Ausbau konnten nicht entkoppelt, sondern mussten als Einheit betrachtet und dementsprechend interdisziplinär beplant werden. So konnte nur durch das Zusammenwirken aller Planungsbeteiligten der Wettbewerbsentwurf mit hohem gestalterischem Anspruch umgesetzt werden.

Nutzung, Entwurf und Gestaltung

Das fertige Gebäude arbeitet städtebaulich mit versetzt zueinander, gestapelten Kuben und positioniert sich gegenüber dem benachbarten dominanten Rathaus durch einen eigenen, kräftigen Gebäudecharakter. Es reagiert damit gleichermaßen städtebaulich auf das denkmalgeschützte Umfeld und nimmt Farbigkeit und Materialität der umgebenden Fassaden auf. Der Bestimmung entsprechend waren Räumlichkeiten für die vielfältigen Nutzungen für Dauerausstellung, Sonderausstellung, Seminare und sonstige Veranstaltungen zu realisieren.

Im Erdgeschoss sind neben einem großzügigen Foyer mit Bereich für Museumspädagogik die Garderoben angeordnet, das 1. und 2. Obergeschoss bietet Ausstellungsflächen und das 3. Obergeschoss wird als Multifunktionsbereich für Veranstaltungen genutzt. Im 4. Obergeschoss, welches als eingerücktes Staffelgeschoss umgesetzt ist, befinden sich die Technikzentralen. Auf Grund der geometrischen Randbedingungen des U-Bahn-Bauwerks erhielt der Neubau lediglich eine Teilunterkellerung.

Der Neubau selbst ist als monolithischer, fugenloser Stahlbetonbau umgesetzt, dessen Vertikallastabtrag lediglich über die beiden Außenwandachsen und eine durchgehende Innenwand erfolgt. Hieraus ergaben sich die stützenfreien Geschossebenen mit Deckenspannweiten von 10,90 Metern. Die Deckenebenen bestehen aus additiv aneinandergereihten Halbfertigteilen mit einem Ortbetonverguss. Dabei war die kappendeckenartige Untersicht in höchster Sichtbetonanforderung und Integration der Effektbeleuchtung wesentliches gestalterisches Element. Um die hier geforderte minimierte Konstruktionshöhe von 58 Zentimetern bei einer Schlankheit von l/19 zu erreichen, wurden die Elemente mit Monolitzen ohne Verbund vorgespannt. Die Andienung der Baustelle mit maximal möglichen Transportlängen und Gewichten war wesentliches Entwurfskriterium der Elementierung.

Überbauung des U-Bahn-Bauwerks

Die für die Ausformulierung des Gesamtgebäudes inklusive der Gründung maßgebende Randbedingungen war der bestehende U-Bahnhof mit seinen schräg das Grundstück querenden Tunnelröhren und dem in den Neubau zu integrierenden Bahnhofszugang. Der zu etwa 50% im Baufeld liegende Bahnhof wurde seinerzeit in offener Bauweise, die beiden Tunnelröhren bergmännisch errichtet. Der zwischen den beiden Röhren verbliebene, gewachsene und in geringer Tiefe anstehende Sandsteinblock diente bei der Gründungskonzeption als steifer Fixpunkt.

In Verbindung mit den zulässigen Überbauungslasten der U-Bahn waren die in Bereichen mit geringer Überdeckung liegenden Betonkubaturen der Kalotte maßgebend für die Tragwerksfindung. Dabei erwiesen die sich aus der Gestaltung ergebenden geschosshohen und teilweise offenen Kuben auch für die Aktivierung der räumlichen Tragwirkung und der gezielten Steuerung des Lastabtrags mit der Verteilung im Baugrund als das Mittel der Wahl.

Um Auswirkungen von Grundrissüberlegungen, genauer Situierung des Gebäudes auf dem Baufeld und des Unterkellerungslayouts schon in der Vorplanung hinsichtlich der Verträglichkeiten mit der U-Bahn beurteilen zu können, wurde ein parametrisiertes Gesamtsystem als FE-Modell direkt an eine Halbraumberechnung des Bodens gekoppelt. Dafür wurden die steifen Baugrundbereiche über dem Sandsteinstempel, die Tunnelbereiche als auch der nichtüberbaubare Kalottenbereich modelliert.

Die Kalotte selbst benötigte aus infrastrukturellen Anforderungen der Verkehrsbetriebe Fürth eine echte Entkopplung – rechnerisch und baulich. Auch diese musste im Modell abgebildet werden, da in diesem Bereich das massive, lastabtragende Fluchttreppenhaus angeordnet ist. Planmäßig konnte dies über Rückhängungen von vertikalen Bauteilen über Wandschotte in Verbindung mit Zentrierungen in den Deckenscheiben erreicht werden. Baulich wurde die Trennung über Setzungsplatten realisiert, die nach einem Ausspülvorgang einen echten Hohlraum und damit die geforderte Entkopplung erzeugten. Im Planungsablauf war zusätzlich eine getrennte Prüfung des Standsicherheitsnachweises des Gebäudes von seiner Gründung über der U-Bahn aus formalen Gründen notwendig. Dieser Prozess konnte mittels Lastübergaben auf Geländeniveau erfolgreich koordiniert werden.

Charakteristische Sichtbetonflächen

Gestaltprägend sind die vielfältigen Sichtbetonflächen im Innen- und Außenbereich. Für den Innenbereich sind in erster Linie die beschriebenen Kappendecken zu nennen, die in Verbindung mit den Wandflächen ein wesentliches Gestaltungsmittel der Innenräume darstellen. Hierfür wurden im Fertigteilwerk mit hoher Präzision die Halbfertigteile mit den konkaven Deckenuntersichten hergestellt, die sowohl durch ihre hohe Passgenauigkeit im Fugenbild als auch durch die einheitliche Qualität des Sichtbetons in der gesamten Oberfläche überzeugen.

Um hier das optimale Ergebnis zu erzielen, wurden Musterelemente mit verschiedenen Schalungsmaterialitäten von Holz über Stahl bis hin zu Glasfaserkunststoffen erprobt, schlussendlich erfolgte die Herstellung auf einer Stahlschalung. Für eine einheitliche Oberflächengüte und Farbigkeit der Ortbetonwände, wurde der Sichtbeton im selben Fertigteilwerk wie die Deckenelemente hergestellt und mit Fahrmischern auf die Baustelle transportiert. Um die Transportzeiten zu minimieren, erfolgten die Betonagen der Sichtbetonwände vor dem Berufsverkehr nur in den frühen Morgenstunden.

Bei den Innenwandkonstruktionen wurden exakt definierte Schalungsansichten umgesetzt, auf die die Arbeits- und Betonierfugen in ihrer Anordnung reagieren. Sichtbar bleibende Arbeitsfugen wurden vermieden. Dieses Vorgehen erfolgte in enger Abstimmung mit dem Rohbauunternehmen.

Der Sichtbeton der Außenfassade wurde zur optischen Anpassung des Gebäudes an die umgebende Sandsteinbebauung mit regionalen Zuschlagsstoffen eingefärbt und zusätzlich steinmetzartig bearbeitet, wodurch die Materialwirkung und Farbigkeit noch erhöht wurde. Dieses sogenannte Stocken, Scharrieren und Spitzen wurde in einem erhöhten Vorhaltemaß der Betonüberdeckung tragwerksplanerisch erfasst.

Die großformatigen Fassadenflächen wurden so in ihrer optischen Wirkung zusätzlich zu den Versätzen der Kuben gebrochen. Die vorgesetzte Sichtbetonfassade ist fugenlos errichtet. Sie trägt nur sich selbst und ist nicht primär am Lastabtrag des Gebäudes beteiligt, dort jedoch über Edelstahleinbauteile thermisch entkoppelt und zwängungsarm angeschlossen. Die Betonage der Ortbetonfassade erfolgte gegen eine Kerndämmung aus Foamglas, im Wesentlichen mit einhäuptigen Wandschalungen.

Fazit

Bei dem Neubau des Ludwig Erhard Zentrums war der architektonische Entwurf sowohl funktional wie gestalterisch nur durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit mit vielen Teildisziplinen des konstruktiven Ingenieurbaus – Tragwerksentwicklung, Tiefbau, Spannbetonbau, Fertigteilbau, Sichtbetonbau, Schalungsplanung, Baustellenlogistik und der Haustechnikplanung umsetzbar.

Durch das Gründungskonzept mit der gezielten Steuerung der Lastpfade bis in den Baugrund konnte ein durch die U-Bahnbauwerke baulich kaum nutzbares Baufeld hochwertig entwickelt werden. Die Bündelung des Fachwissens aus zahlreichen Teilbereichen des konstruktiven Ingenieurbaus in der Tragwerksplanung und die Umsetzung der Tragwerkskonzepte in ein anspruchsvolles räumliches FE-Modell zum Nachweis der Lastpfade und Umlagerungen unter Berücksichtigung der Bauzustände waren die wesentliche Grundlage zur Formfindung, Vertiefung und Realisierung des Wettbewerbsentwurfs des Architekten.

Dipl.-Ing. Oliver Schwenke, Dr.-Ing. Alexander Hentschel

Objekt
Neubau Ludwig Erhard Zentrum

Standort
Fürth

Bauzeit
2016-2018

Bauherr
Stiftung Ludwig-Erhard-Haus, Fürth

Architekten + Ingenieure
Tragwerksplaner: TRAGRAUM Ingenieure PartmbB
Architekt: Reinhard Bauer Architekten, München
Haustechnik: Ottitsch GmbH & Co. KG, München

Bauausführung
Beton- und Stahlbetonbau: GS SCHENK GmbH, Fürth
Fassade: GS SCHENK GmbH, Fürth

(© Fotos: Oliver Heinl, Visualisierung: TRAGRAUM Ingenieure PartmbB)

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