15.10.2025 - München
Beim Parlamentarischen Frühstück des Kammervorstands mit Abgeordneten der Landtagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen am 15. Oktober 2025 ging es um das Thema Klimaschutz und Bauen, den Wohnungsbau und bezahlbaren Wohnraum, den Gebäudetyp-e, Normen und Entbürokratisierung, aber auch um die Beschleunigung und Vereinfachung der Genehmigungsverfahren und des Vergabewesens, die Harmonisierung der Landesbauordnungen sowie um die Resilienzstrategie des Bundes und den Zivilschutz in Deutschland.
In dem Gespräch des Vorstandes der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau mit den Abgeordneten der Landtagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen wurden zentrale Themen wie Baukultur, Mindset-Veränderungen, Standardisierung, Nachhaltigkeit und Resilienzstrategien diskutiert und Chancen für eine zukunftsfähige Bau- und Infrastrukturentwicklung aufgezeigt.
Nach der Begrüßung durch Johannes Becher, den 1. stellv. Fraktionsvorsitzende der Grünen und Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau sowie einer kurzen Vorstellungsrunde wies Gebbeken gleich zu Beginn darauf hin, dass der Klimawandel das Bauwesen, aber auch Politik und Gesellschaft weiterhin vor große Herausforderungen stellt.
Im Hinblick auf die veränderte (welt-)politische Situation durch den Ukrainekrieg kritisierte Prof. Dr. Gebbeken auch die aktuelle deutsche Resilienzstrategie, da qualitative Forderungen nach mehr Sicherheit oft nicht in konkrete, quantifizierbare Maßnahmen umgesetzt werden. Das müsse sich ändern, hier es fehle an klaren Parametern und politischem Willen, um Fortschritte zu erzielen.
Der Bau- und Infrastruktursektor in Deutschland steht vor großen Herausforderungen: zu viel Bürokratie, komplexe Normen, technische Innovationen, Klimaschutzanforderungen und gesellschaftliche Erwartungen verlangen nach neuen Denkansätzen und pragmatischen Lösungen.
Gerade für den Wohnungsbau wurde der weiterhin steigende Bedarf an bezahlbarem Wohnraum betont, wobei hier die technischen Standards oft unnötig hoch seien. Die Initiative zum Gebäudetyp-e und die Chance, mehr Low-Tech Gebäude zu bauen, bieten einen großen Hebel für die Bauwirtschaft für mehr Klimaschutz und ein kostengünstigeres Bauen.
Professor Gebbeken zitierte hier Albert Einstein:
„Jeder
intelligente Narr kann die Dinge größer
und komplexer machen. Es braucht einen Hauch
von Genie - und viel Mut -, um sich in die
entgegengesetzte Richtung zu bewegen."
“Any intelligent
fool can make things bigger
and more complex. It takes a touch of genius -
and a lot of courage - to move in the
opposite direction.”
Ein gutes Beispiel für den Gebäudetyp-e ist das Projekt "Haus fast ohne Heizung". Ziel des Projekts ist es, nachhaltiger, ressourcenschonender und kostengünstiger zu bauen, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Der Bauherr, die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Ingolstadt GmbH (GWG), verzichtet beim „Haus fast ohne Heizung“ auf eine zentrale Heizung und kombiniert diese reduzierte Gebäudetechnik mit einer einfachen und massiven Baukonstruktion. Das dreigeschossige Gebäude wird voraussichtlich noch diesen Herbst fertig.
Gebbeken betonte die Verantwortung der Politik, ein „Gebäudetyp-e-Gesetz“ jetzt schnell umzusetzen, um Rechtssicherheit herzustellen und dadurch die Verbreitung und Akzeptanz des innovativen Ansatzes voranzubringen.
Die technische Gebäudeausrüstung macht mittlerweile etwa 40 % der Baukosten aus und ist häufig nach 20 Jahren veraltet. Hier besteht ein großer Bedarf, die Technik zu vereinfachen und langlebigere Lösungen zu finden. Gleichzeitig bieten Smart-Home-Technologien Chancen, Energieeffizienz durch intelligente Steuerung zu erhöhen, werfen aber auch Fragen zur Nutzerakzeptanz auf.
Im Hinblick auf Energieeinsparungen reichen technische Maßnahmen allein nicht aus; das Nutzerverhalten (z.B. richtiges Lüften, Heizungsverhalten) ist ein entscheidender Hebel für Energieeffizienz. Technik ist wichtig, aber nicht allein entscheidend, es braucht auch eine realistische Einschätzung der Nutzerbedürfnisse und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Standard und „Nice to have“.
Die Bürokratie und die große Anzahl an Normen sind erhebliche Kosten- und Komplexitätsfaktoren im Bauwesen. Es besteht dringender Handlungsbedarf, Bürokratie und Normen im Bauwesen zu vereinfachen, um effizientere, nachhaltigere und kostengünstigere Bauweisen zu ermöglichen, insbesondere im Wohnungsbau und bei Infrastrukturprojekten.
Die Komplexität von Genehmigungsverfahren, technischen Normen und rechtlichen Anforderungen führt zu Verzögerungen und steigenden Kosten.
Besonders die Vielzahl von Landesbauordnungen mit ihren 16 unterschiedlichen Regelwerken erschwert eine bundesweit einheitliche und effiziente Baupraxis.
Dabei wurde die Normenpraxis des DIN als privatwirtschaftlicher Verein kritisch gesehen, da kostentreibend und bürokratisch aufwendig. Die Tatsache, dass Hersteller sowie Vertreter der Industrie-Lobby überproportional an der Entwicklung von Normen beteiligt seien, sei falsch. Ebenso, dass für die Mitarbeit an Normen hohe Summen bezahlt werden müssen.
Zudem werden Normen oft als Innovationsbremse wahrgenommen. Ein Beispiel sei der Stahlbetonbau: Trotz jahrzehntelanger Forschung führen Probleme wie Rissbildung zu überhöhten Sicherheitsanforderungen und unnötigem Materialverbrauch. Hier könnten Alternativen wie Textilbeton oder Duktilbetone große Einsparungen bei Material und CO₂-Emissionen bringen, werden aber aufgrund der bestehenden Normen und Marktdynamik noch zu wenig genutzt.
Die Diskussion zeigte die Notwendigkeit, traditionelle Bauweisen kritisch zu hinterfragen und innovative Materialien zu fördern. Moderne Werkstoffe bieten wie Textilbeton bieten erhebliche Vorteile hinsichtlich Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit erörtert, Naturstein als umweltfreundlichen Baustoff wieder stärker zu nutzen – ein Ansatz mit Vorbildcharakter aus anderen europäischen Ländern.
Ein besonders wichtiges Thema ist der Aufbau von Vertrauen
zwischen Bauherrn, Planenden und ausführenden Unternehmen. Entscheidend sei,
Bauvorhaben transparenter zu gestalten und auf pragmatische Lösungen zu setzen,
bei denen auch Fehler und Risiken akzeptiert und gemeinsam gelöst werden
können. Musterinformationen und Selbstverpflichtungen der Beteiligten könnten
helfen, den Umgang mit Risiken und Normen zu verbessern.
Die Infrastruktur, insbesondere Brücken- und Tunnelbau, wird immer komplexer und teurerIm Wohnungs- und Hochbau könnten standardisierte, industrielle Bauprozesse Effizienz und Qualität verbessern, beim Infrastrukturbau erschweren jedoch individuelle Anforderungen und das gebaute Umfeld die Anwendung von Serienlösungen. So existieren in München beispielsweise über 600 Brücken, die alle individuell geplant sind, was Ressourcen bindet und Kosten erhöht.
Im Hinblick auf das „Sondervermögen“ des Bundes sei es jetzt wichtig, dass man schnell in die Umsetzung kommt und das Tempo beschleunigt. Bund, Länder und Kommunen müssen die Rahmenbedingungen für ein beschleunigtes Planen und Bauen schaffen. Wir brauchen hier Planungssicherheit, verlässliche Rahmen- und Förderbedingungen und schnelle Genehmigungsverfahren. Dazu müssen auch die Genehmigungs- und Verfahrensprozesse beschleunigt werden, damit dringend notwendige bauliche Maßnahmen zeitnah umgesetzt werden können.
Die Vertreter der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau wiesen
hier auf die Bedeutung des regionalen Mittelstandes und der kleinen und
mittleren Unternehmen als Leistungsträger für die Umsetzung der anstehenden
Maßnahmen hin. Eine zunehmende Tendenz zu Generalvergaben gefährde die
regionalen mittelständischen Bürostrukturen massiv.
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und digitaler Technologien kann helfen, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und bürokratische Hürden abzubauen. Allerdings sind die letztendlichen Entscheidungen weiterhin menschlich geprägt. Ein ausgewogenes Verhältnis von Technik und menschlichem Ermessen wird als notwendig erachtet, um Fortschritte zu erzielen.
Ein zentrales Thema des Gesprächs war auch das notwendige Umdenken in der Branche und Politik. Das sogenannte „Mindset“ beeinflusst, wie technische Innovationen und Bauprojekte umgesetzt werden. Statt auf Verhinderung zu setzen, müsse der Fokus auf Machbarkeit und pragmatische Lösungen gelegt werden. Hier fehle es an klaren Parametern und politischem Willen, um Fortschritte zu erzielen.
Die Diskussion verdeutlichte, dass im Bauwesen ein umfassender Wandel nötig ist: Weg von überbordender Bürokratie und starren Normen, hin zu mehr Flexibilität, pragmatischen Lösungen und einer stärkeren Einbindung aller Beteiligten – von Experten bis zur Bevölkerung.
Technische Innovationen müssen mit gesellschaftlichem Verständnis und Nutzerverhalten in Einklang gebracht werden.
Zudem sind die Harmonisierung und Vereinfachung von Vorschriften sowie der Ausbau von Vertrauen und Transparenz entscheidend, um zukunftsfähige, nachhaltige und bezahlbare Bauprojekte zu realisieren. Resilienz und Klimaschutz stehen dabei im Mittelpunkt, erfordern jedoch klare Ziele, politische Willenskraft und eine effektivere Umsetzung.
Im Anschluss an das gemeinsame Parlamentarische Frühstück wurde vereinbart, weiter im gegenseitigen Austausch zu bleiben.
Teilnehmende Bündnis 90 / Die Grünen:
Teilnehmende Bayerische Ingenieurekammer-Bau:
Quelle und Fotos: Bayerische Ingenieurekammer-Bau, Redaktion: Jan Struck
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