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Bauindustrie 4.0: Die Digitale Baustelle

TU Braunschweig erforscht mit neuen Großgeräten digitale Technologien

22.04.2024 - Braunschweig

Bauindustrie 4.0: Die Digitale Baustelle

Mit dem Projekt „Die Digitale Baustelle – Bauindustrie 4.0 als Schlüssel für eine digitale und nachhaltige Bauwirtschaft“ will die Technische Universität Braunschweig digitale Fertigungstechnologien sowie deren Auswirkungen auf Planungs- und Produktionsprozesse unter realen Baustellenbedingungen erforschen und Impulse für die Baupraxis liefern.

Wohnungen, Straßen, Brücken - gebaut wird immer. Doch meist mit tradierten Bautechniken, seit Jahrzehnten unverändert. Während in anderen Industriezweigen Digitalisierung und Automatisierung kontinuierlich in industrielle Fertigungen integriert werden, leidet der Bausektor unter kostenintensiven, unproduktiven und umweltbelastenden Baustellenprozessen. Digitale Lösungen schaffen es nur selten auf den Bau und beschränken sich bislang auf ausgewählte Anwendungsbereiche und Pilotprojekte. Dabei steht die Bauwirtschaft vor der großen Herausforderung, den steigenden Baubedarf künftig mit weniger Ressourcen und weniger Emissionen zu decken.

Genau hier setzt das das Projekt „Die Digitale Baustelle – Bauindustrie 4.0 als Schlüssel für eine digitale und nachhaltige Bauwirtschaft“ der Technischen Universität Braunschweig an. Dafür entsteht an der Beethovenstraße am Campus Ost der TU Braunschweig eine einzigartige Forschungsinfrastruktur aus verschiedenen digital gesteuerten Großgeräten – mit robotischen Einheiten, mobilen Robotern, einer automatisierten Betonmischanlage, Objekttracking und immersiven Systemen (u. a. einer LED-Wand mit Virtual Reality Technologie). Herzstück der Anlage ist die rund sechs Meter hohe „3D-Druckeinheit“, mit dem großformatige, individualisierte, ressourcen- und CO2-effiziente Bauteile additiv, also in mehreren aufeinanderliegenden Schichten, hergestellt werden sollen.

„Additive Fertigungstechnologien und insbesondere der 3D-Betondruck sind Schlüsseltechnologien für den Wandel der Bauwirtschaft, denn sie vereinen Ökonomie, Ökologie und soziale Aspekte der Bauproduktion“, betont Professor Patrick Schwerdtner vom Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb (IBB), einer der Initiatoren der digitalen Baustelle und Projektleiter für die Phase der Planung und Beschaffung. 

Zum einen fällt durch den Verzicht auf die Schalung ein kostenintensiver Arbeitsgang weg, zum anderen ermöglicht der additive Fertigungsprozess die Einsparung von Material, da der Beton nur dort aufgetragen werden kann, wo er auch konstruktiv benötigt wird. Des Weiteren wird die Arbeitssicherheit verbessert, da die Bauteile automatisiert und nicht mehr handwerklich unter teilweise schwierigen örtlichen Randbedingungen und bei problematischen Witterungsverhältnissen hergestellt werden.

Innovative Vernetzung von digitalen Technologien

Den 3D-Betondruck und andere additive Fertigungstechnologien erforscht die TU Braunschweig gemeinsam mit der TU München bereits im Sonderforschungsbereich TRR 277 „Additive Manufacturing inConstruction“(AMC). Professor Harald Kloft, Sprecher des Sonderforschungsbereichs sieht in der Digitalen Baustelle enormes Potenzial, um die Erkenntnisse aus den Grundlagenforschungen in die Anwendung zu bringen. Hier wollen die Wissenschaftler*innen die Ergebnisse des AMC im 1:1-Bauwerksmaßstab und unter Realbedingungen erproben.

Dabei wollen sie unterschiedliche digitale Technologien vor Ort zusammenführen und im Sinne der Industrie 4.0 vernetzen. Hierdurch wird es zukünftig möglich, durchgehend datenbasiert auf der Baustelle zu arbeiten – von der Planung über die Herstellung bis zur Montage, erläutert Norman Hack, Professor für Digitale Konstruktion am Institut für Tragwerksentwurf (ITE). Idealerweise entsteht eine digitale Prozesskette, die so den Automatisierungsgrad erhöht. Der Vorteil: Es kann ressourceneffizienter gebaut werden, lange Transportwege entfallen und durch ineinandergreifende Prozesse verkürzt sich die Bauzeit. Zusätzlich werden durch den datenbasierten Informationsaustausch Fehler in der Kommunikation vermieden.

Visuelles Kollaborationsmodell

Schnittstelle für alle am Produktionsprozess Beteiligten ist das „Digital Engineering Center“: In dieser Schaltzentrale sollen sämtliche Informationen der „Digitalen Baustelle“ gebündelt werden – gespeichert und verwaltet in einem dreidimensionalen „BIM-Modell“ (auch für „konventionelle“ Bauprozesse abseits der additiven Fertigung). Die Methodik des Building Information Modelling (BIM) wollen die Wissenschaftler*innen auch als visuelles Kollaborationstool nutzen.

„Hier können wir dreidimensionale Darstellungen unter anderem mit Terminplänen koppeln, um uns Abläufe im zeitlichen Raffer anzuschauen, Daten zu sammeln und zu analysieren“, erklärt Professor Schwerdtner. Das „Digital Engineering Center“ soll zudem als Virtual Reality Labor fungieren, in dem zum Beispiel digitale Bauteile in den realen Raum projiziert werden können.

Neue Wege der Qualitätskontrolle

Auch die digital gesteuerte Betonmischanlage für den 3D-Druck (Mobile Digital Concrete Plant) verbindet Vorgänge, die bislang in der Regel separat laufen, in einem digital durchgängigen Prozess. So können Materialherstellung durch Mischen der Ausgangsstoffe, Förderung des Betons durch Pumpen sowie die Bestimmung der Eigenschaften des Frischbetons und die Fließfähigkeit kontrolliert gesteuert werden, damit die gedruckte Geometrie der Struktur und der Verbund der einzelnen Lagen gewährleistet wird, erklärt Dirk Lowke, Professor für Baustoffe.

Für die begleitende und abschließende Qualitätssicherung wollen die Forschenden um Professor Markus Gerke vom Institut für Geodäsie und Photogrammetrie (IGP) auch automatische 3D-Vermessungssensorik und -methodik einsetzen. Damit können sie unter anderem die Ist- und Soll-Geometrie überprüfen sowie Schäden entdecken. Für Aufnahmen des gesamten Bauwerks zum Abgleich mit den Planungsdaten ist auch der Einsatz von speziellen Trackingsystemen vorgesehen. Parallel wollen die Wissenschaftler*innen außerdem die Witterungsbedingungen nebst Wind messen und somit die Auswirkungen der realen Baustellenbedingungen untersuchen.

Einbindung der Bauwirtschaft

In der Zukunft könnte eine ähnliche Baustelle wie an der TU Braunschweig Wirklichkeit werden. „Wir wollen mit unserem Projekt Möglichkeiten für eine zukünftige Baustelleninfrastruktur aufzeigen“, sagt Professor Schwerdtner. „In Anbetracht der Vielseitigkeit von Bauprojekten und Bauverfahren wird es sicherlich eine Vielzahl von möglichen Konzepten geben. Mit unseren Forschungen wollen wir wesentliche Impulse setzen, auf die man aufbauen kann.“

Projektbegleitend und in folgenden Forschungsprojekten ist die Einbindung der regionalen und überregionalen Wirtschaft geplant. Das sieht Professor Schwerdtner auch als klares Angebot: „Auf der ‚Digitalen Baustelle‘ verknüpfen wir Grundlagenforschung und anwendungsnahe Forschung miteinander. Die Planungsbüros und Bauunternehmen sollen frühzeitig Kenntnis erlangen von möglichen Zukunftstechnologien und diese Überlegungen auch in ihre Unternehmensstrategie integrieren, da der Transformationsprozess eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.“

Projektdaten

Das Projekt „Die Digitale Baustelle – Bauindustrie 4.0 als Schlüssel für eine digitale und nachhaltige Bauwirtschaft“ wurde durch fünf Professoren der TU Braunschweig initiiert. Neben dem Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb (Professor Patrick Schwerdtner) sind das Institut für Tragwerksentwurf (Professor Harald Kloft, Professor Norman Hack), das Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (Professor Dirk Lowke) und das Institut für Geodäsie und Photogrammetrie (Professor Markus Gerke) an dem Projekt beteiligt. Die Forschungsinfrastruktur wird mit rund 3,8 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert, einschließlich eines Eigenanteils von zehn Prozent. Das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) setzt die Aufbauförderung im Rahmen der Richtlinie „Innovation durch Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ um.

Quelle: Technische Universität Braunschweig, Fotos: Tjark Spille/Institut für Tragwerksentwurf, Harald Kloft/TU Braunschweig

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