21.03.2024 - München
Das Vergabewesen, die Digitalisierung und die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren und Verwaltungsprozesse sowie der Bürokratieabbau, aber auch die Krise im Wohnungsbau und die konjunkturelle Lage der Bauwirtschaft in Bayern standen auf der Agenda des Parlamentarischen Frühstücks des Vorstands der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau mit Abgeordneten der Freie Wähler Landtagsfraktion am 21. März 2024.
Nach der Begrüßung durch Dr.-Ing. Werner Weigl, 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und Tobias Beck, MdL, digital- und verkehrspolitischer Sprecher der Freie Wähler Fraktion im Bayerischen Landtag sowie einer kurzen Vorstellungsrunde ging es um die anhaltend schlechten Konjunkturprognosen in der Baubranche, die sich vor allem auf den starken Rückgang im Wohnungsbau zurückführen lässt. Dies schlägt sich mittlerweile auch in den kleineren und mittleren Ingenieurbüros in Bayern nieder. Das Ergebnis einer solchen Entwicklung sind handfeste wirtschaftliche Krisen durch fehlende Liquidität bei den Ingenieurbüros.
Die Digitalisierung soll ja eigentlich zur Vereinfachung der Genehmigungsverfahren und zum Abbau von Bürokratie beitragen. Oft geschieht jedoch das genaue Gegenteil. Gerade für die kleinen, mittelständischen Ingenieurbüros, aber auch die Handwerksunternehmen sei der Weg in die Digitalisierung oftmals sehr schwierig. Sie müssen oft zweigleisig fahren, was einen deutlichen Mehraufwand bedingt. Daher treffe man hier oft aus eine Abwehrhaltung gegenüber der Digitalisierung der Prozesse und Abläufe in den Unternehmen.
„Die KMUs und das Handwerk brauchen hier dringend Hilfestellungen, um in die Digitalisierung einzusteigen. Wenn wir so viele unterschiedliche digitale Strukturen haben, wird es für die kleineren Unternehmen nahezu unmöglich, in die Digitalisierung einzusteigen. Parallel dazu müssen dringend bürokratische Hürden abgebaut werden“, sagt Kammervorstand Dipl.-Ing.Univ. Dieter Räsch (im Foto rechts).
Damit dringend notwendige bauliche Maßnahmen zeitnah umgesetzt werden können, müssen die Genehmigungs- und Verfahrensprozesse deutlich beschleunigt und vereinfacht werden.
Zwar nimmt die Umsetzung und auch die Akzeptanz des digitalen Bauantrags zu, jedoch fehlen oft noch gemeinsame Standards bei den digitalen Prozessen und Strukturen. Hier sind einheitliche Technologien und Abläufe in Bayern notwendig, aber auch auf Bundesebene. Sonst entsteht ein Flickwerk unterschiedlicher Lösungen, das es den kleineren Unternehmen deutlich schwieriger macht, in die Digitalisierung einzusteigen.
„Wir brauchen einheitliche Plattformen und Zugänge. Am besten wäre ein gemeinsames Portal anstatt unterschiedlicher Portale bei den einzelnen Landratsämtern. Nur so können wir die Digitalisierung beschleunigen. Die Politik muss hier Anreize setzen und zeigen, dass die Digitalisierung für die Unternehmen klare Vorteile und Vereinfachungen bringt“, sagt Kammervorstand Dr.-Ing. Markus Hennecke.
Mit dem IT-Staatsvertrag und dem Onlinezugangsgesetz sei hier zwar einiges auf den Weg gebracht worden. Das Ziel müsse jedoch ein eigenes und kostengünstiges Portal für alle Kommunen sein. Gelingt hier keine schnelle Umsetzung, seien die kleinen und mittelständischen Unternehmen vor allem in den Regionen in Bayern bedroht.
Auch die durchgängige Digitalisierung der Verwaltungsprozesse in den Ämtern und Behörden müsste deutlich schneller gehen. Diese sind aktuell noch sehr von Medienbrüchen gekennzeichnet, was ein effektives Arbeiten sowohl auf Seiten der Verwaltung als auch auf Seiten der Büros hemmt und verlangsamt. Der Fachkräftemangel im Bereich IT stellt hier auch für die Verwaltung ein großes Problem dar.
Ebenfalls angesprochen wurde der Digitalbonus Bayern, der erst bis zum 30. Juni 2024 verlängert wurde. Durch den Digitalbonus können die Entwicklung, Einführung oder Verbesserung von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen, durch IKT-Hardware, IKT-Software sowie Migration und Portierung von IT-Systemen und IT-Anwendungen sowie die Einführung oder Verbesserung der IT-Sicherheit gefördert werden.
Hier forderten die Vertreter der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, den Digitalbonus auch für die Freien Berufe zu öffnen. Denn gerade die Freien Berufe sind Garanten für viele Arbeitsplätze in den bayerischen Regionen und im ländlichen Raum.
Dass die Beantragung des Digitalbonus für die Freien Berufe nicht möglich sei, stößt auf großes Unverständnis bei den Vertretern der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und ihren Mitgliedsbüros.
Die bayerische Planungs- und Bauwirtschaft ist regional und kleinteilig strukturiert. Die aktuellen Entwicklungen bei der Vergabe und den Genehmigungsverfahren gefährden diese effiziente und resiliente Struktur, gerade der Trend zur Vergabe an Generalplaner, Generalunternehmer und Totalunternehmer sowie die zunehmende Zusammenfassung von Bauvorhaben zu großen Einheiten. Dies fördert Konzentrationsprozesse und Abhängigkeiten und es droht die zunehmende Gefahr durch Claim- und Nachtragsmanagement.
Wenn sich dieser Trend fortsetzt, hat das direkte Auswirkungen auf die Kommunen und Gemeinden, gerade im ländlichen Raum. Dr.-Ing. Werner Weigl, der 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau verdeutlicht dies am Beispiel der Bandenwerbung auf den Fußballplätzen, hier drohen die kleineren regionalen Unternehmen und Dienstleister zu verschwinden. Während sich die Beratenden Ingenieure und ihre Büros als Treuhänder des Bauherrn verstehen und ihn unabhängig beraten, dürfe dies im Falle von Totalunternehmern durchaus angezweifelt werden.
Grundsätzlich sind die Vergabeverfahren gerade für die kleineren Büros viel zu aufwändig und teuer. Aufgrund der unterschiedlichen Strukturen und verschiedenen Plattformen ist der Aufwand bei der Beteiligung an Vergabeverfahren für die kleineren Büros in den Regionen nicht mehr leistbar und auch auf Seiten der Ausschreibenden ist der Aufwand viel zu hoch.
Nach der Streichung einer zentralen vergaberechtlichen Regelung bei Planungsleistungen am Bau (§ 3 Abs. 7 Satz 2 VgV) besteht weiterhin große Verunsicherung bei öffentlichen Auftraggebern, wie die Auftragswertberechnung rechtssicher vorgenommen werden kann. Die Berechnung des Auftragswerts entscheidet darüber, wann Planungs- und Bauleistungen für Bauvorhaben europaweit ausgeschrieben werden müssen. Dies betrifft nicht nur Großprojekte, sondern beispielsweise auch Erweiterungen von Schulgebäuden oder den Neubau von Kindergärten in kleineren Gemeinden.
Dr.-Ing. Werner Weigl stellte das am 26. Februar 2024 veröffentlichte, neue Gutachten des renommierten Vergaberechtlers Prof. Martin Burg vor, das aufzeigt, wie unter den derzeitigen Regelungen rechtssicher europakonform vergeben werden kann. (Rechtsgutachten zum Download)
In dem von der Bundesingenieurkammer, der Bundesarchitektenkammer, dem Verband Beratender Ingenieure (VBI) und dem AHO beauftragten Gutachten kommt Prof. Burgi zu dem Schluss, dass eine gemeinsame Vergabe von Planungs- und Bauleistungen als „Bauauftrag“ kombiniert mit der anschließenden losweisen Vergabe dieser Leistungen rechtlich zulässig und umsetzbar ist.
Das Bayerische Bauministerium hat mit Schreiben vom 18.12.2023 erst kurz zuvor daran erinnert, dass eine Pflicht zur Addition der Auftragswerte der einzelnen Planungsdisziplinen für dasselbe Bauvorhaben im Vergaberecht nicht geregelt ist, sich aber aus einem engen funktionalen Zusammenhang zwischen den Planungsleistungen ergeben kann.
Auch bisher schon war eine getrennte und zeitliche Staffelung der Vergabe von Planungs- und Bauleistungen üblich, wenn man bei der Ermittlung des Auftragswertes unter Addition der Fachlose zu dem Ergebnis kam, dass die einzelnen Lose in Planung und Bau europaweit auszuschreiben sind. Neu ist der von Prof. Burgi dargelegte Ansatz, bei der Ermittlung des Auftragswertes Planungs- und Bauleistungen zusammen zu addieren und mit dem dann maßgeblichen Schwellenwert für Bauleistungen 5,538 Mio. € zu vergleichen. Kommt man dann zum Ergebnis, dass das Bauvorhaben unter diesem Schwellenwert liegt, können Planungs- und Bauleistungen in Fachlosen nach den jeweils einschlägigen nationalen und bundesländerspezifischen Regelungen vergeben werden.
Sowohl die deutschen als auch die europäischen vergaberechtlichen Regelungen sehen vor, dass ein Auftraggeber frei wählen kann, ob er Planungs- und Bauleistungen getrennt oder gemeinsam, auch kombiniert mit einer Fachlosbildung, vergeben möchte. Bei diesem Beschaffungskonzept der gemeinsamen Vergabe geht das Vergaberecht davon aus, dass es sich insgesamt um einen Bauauftrag handelt. Demzufolge kommt der Schwellenwert für die Vergabe von Bauleistungen in Höhe von 5.538.000 Euro zur Anwendung und nicht der von Planungsleistungen in Höhe von 221.000 Euro.
Burgis Gutachten hebt zudem hervor, dass der Grundsatz der mittelstandsfreundlichen Vergabe weiterhin gilt und legt mit überzeugend begründeten Darlegungen dar, dass das von Hamburg bereits praktizierte Vergabemodell mit dem EU-Vergaberecht vereinbar ist und auch nicht den unterschwelligen nationalen Vergaberegeln widerspricht.
Insbesondere lässt sich dieses Modell, von Prof. Burgi als „alternatives Beschaffungskonzept“ beschrieben, nicht als Umgehung des EU-Rechts bewerten, weshalb es auch in Hinblick auf Fördermittel keine Risiken begründet.
Bleiben Planungs- und Bauleistungen unter dem Schwellenwert von 5,538 Mio. €, bewegt sich die Vergabe dieser Leistungen im nationalen Vergaberecht, wonach jede Planungsdisziplin mit für beide Seiten geringem Aufwand, z.B. unter Einholung von drei Angeboten, separat vergeben werden kann. Eine Gleichzeitigkeit der Vergaben ist ebenso nicht notwendig. Damit weist Burgi einen Weg aus dem Dilemma der Addition der Planungshonorare, das entweder zu explodierendem Ausschreibungsaufwand auf beiden Seiten oder zu einem Angriff auf die kleinteilige Planungslandschaft führt, welche sich jedoch gerade in Krisenzeiten, wie wir sie derzeit wieder erleben, als sehr resilient erwiesen hat.
„Wir appellieren an die Politik und an alle Auftraggeber, sich hier klar zu positionieren und Prof. Burgis Rechtsauffassung zu folgen. Damit wäre die Beteiligung der kleinen, regionalen und mittelständischen Einheiten in Planung und Bau für häufige Bauvorhaben wie Kindergärten und Schulerweiterungen wieder möglich. Genau hier ist der Bedarf besonders hoch“, stellte Kammer-Vizepräsident Dr.-Ing. Werner Weigl klar.
Die Landtagsabgeordneten der Freien Wähler zeigten großes Interesse an dem Gutachten. Die Bayerische Ingenieurekammer-Bau wird den Abgeordneten das Gutachten zuleiten und man hat vereinbart, sich dazu zu weiteren Gesprächen zu treffen.
Teilnehmer der Freie Wähler Landtagsfraktion
Teilnehmer der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau
Quelle: Bayerische Ingenieurekammer-Bau, Fotos: FREIE WÄHLER Landtagsfraktion
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