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Europaweite Ausschreibungspflicht für Planungsaufträge

Stellungnahme zum Referentenentwurf der Vergabeverordnung (VgV)

01.03.2023 - Berlin

Europaweite Ausschreibungspflicht für Planungsaufträge

Nun wird es ernst: Die Bundesregierung hat im Februar 2023 einen Referentenentwurf vorgelegt, um die Vorschrift in § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV aufzuheben. Die Folge einer Aufhebung der bisherigen Regelung wäre eine Pflicht, beinahe jede Planungsleistung europaweit auszuschreiben - von der Kita bis zum Mehrfamilienhaus. Die Kammern und Verbände der planenden Berufe fordern in einer gemeinsamen Stellungnahme, die Voraussetzungen für die europaweite Ausschreibung von Planungsleistungen nicht abzusenken.

Die Verfahren würden sowohl für die Vergabe- wie Auftragnehmerseite teurer und würden doppelt so lange dauern. Bei den entsprechenden Bauleistungen würde es hingegen dabei bleiben, dass etwa 97 Prozent national vergeben werden können. Die Kammern und Verbände der planenden Berufe befürchten daher, dass zukünftig vermehrt Totalunternehmer im Rahmen eines Bauvertrages auch die Architekten- und Ingenieurleistungen übernehmen. Die Folge wäre eine Existenzgefährdung für die mittelstandsgeprägte Planungswirtschaft in Deutschland.

Die Interessenvertreter der Ingenieurinnen, Ingenieure, Architektinnen und Architekten hatten bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens in zahlreichen Gesprächen mit der Politik und den Vertretern der Ministerien auf die Notwendigkeit der besonderen Auftragswertermittlung bei der Vergabe von Planungsleistungen hingewiesen. Mit einer umfassenden schriftlichen Stellungnahme wurden nun die Argumente nochmals vorgetragen.

Bundesingenieurkammer: Ein gesunder Markt an Planungsleistungen für Städte und Kommunen geht unwiederbringlich verloren

Der vom Bundeswirtschaftsministerium vorgelegt Entwurf zur Änderung des Vergaberechts wird zu einer erheblichen Zunahme europaweiter Ausschreibungen für Planungsleistungen von Bauprojekten führen und die dringend benötigte Dynamik der Planung und Abwicklung von Bauprojekten noch stärker ins Stocken bringen. Schon heute werden öffentliche Hand und die teilnehmenden Unternehmen durch die Formalien und den Aufwand bei europaweiten Vergabeverfahren unverhältnismäßig belastet. Dies wird sich durch die geplante Streichung des § 3 Abs. 7 Satz 2 der Vergaberechtsverordnung (VgV) zur Auftragswertberechnung von Planungsleistungen weiter fortsetzen. Bereits geplante Bauvorhaben müssen dann gestoppt und auf die europarechtlichen Anforderungen angepasst werden.

Auch der Wettbewerb wird durch die geplante Änderung eingeschränkt werden. Für viele Mitgliedsbüros der Ingenieurkammern ist dies bereits heute Grund, an öffentlichen Vergabeverfahren nur noch zurückhaltend teilzunehmen. Der Rückzug der Ingenieurbüros von der öffentlichen Auftragsvergabe wird sich dadurch weiter verstärken. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Städte und Kommunen durch den ausbleibenden Wettbewerb. Appelle der planenden Berufe, sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu wenden und über diese Streitfrage Rechtssicherheit zu erlangen, blieben vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) jedoch ungehört. Dies stößt auf Unverständnis, da es gerade bei Planungsleistungen offenkundig keinen europäischen Anbietermarkt gibt. In einer gemeinsamen Stellungnahme haben sich die Verbände am 1. März 2023 erneut mit einem Appell an die Bundesregierung gewandt, die Voraussetzung für die europaweite Ausschreibung nicht abzusenken.

Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer: „Durch das Nichthandeln geht ein gesunder und gut funktionierender Markt an Planungsleistungen für Städte und Kommunen unwiederbringlich verloren. Das deutsche Planungswesen wird von kleinen und mittleren Strukturen in der Region getragen. Ein flächendeckendes Angebot ist eine wichtige Säule für das beschleunigte Bauen und die Bau-, Energie- und Klimawende. Umso unverständlicher ist diese bewusste Inkaufnahme der strukturellen Verwerfungen durch den Gesetzgeber. Wir appellieren, schnellstmöglich mit allen geeigneten Maßnahmen gegenzusteuern, um einen Baustopp in vielen Bereichen zu vermeiden.“

Das Gesetzgebungsverfahren wird voraussichtlich im Frühsommer abgeschlossen sein – das Ergebnis lässt sich nicht vorhersagen – wenn auch die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass die fragliche Regelung ersatzlos gestrichen wird, mit erheblichen Folgen für die Planungswirtschaft: Bisher wurde der Auftragswert für jedes Leistungsbild der Leistungsphasen 1 bis 9 getrennt ermittelt, soweit hierfür ein eigener Planungsvertrag abgeschlossen werden sollte. Lag dieser Auftragswert oberhalb des Schwellenwertes von 215.000 Euro, wurde ein europaweites Vergabeverfahren durchgeführt. Zukünftig müssen – wie bei der Ermittlung des Auftragswertes bei Bauleistungen – alle für die Realisierung des Projektes anfallenden Planungshonorare addiert werden. Grundsätzlich muss dann für die Vergabe aller Planungsleistungen ein europaweites Verfahren durchgeführt werden.

Nach § 3 Abs. 9 VgV hat der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Planungsleistungen weiterhin die Möglichkeit einzelne Aufträge bis zu einem Honorarvolumen von bis zu 80.000 Euro auf der Grundlage der nationalen Vorschriften (UVgO, Landesvergabegesetze) zu vergeben. Von dieser Ausnahme darf der Auftraggeber jedoch nur für Aufträge bis zu einem Volumen von 20 Prozent des Gesamtauftragswerts Gebrauch machen.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die voraussichtlich zukünftig geänderte Ermittlung des Auftragswertes für die Vergabe von Planungsleistungen nicht bedeutet, dass nur noch Generalplanerleistungen vergeben werden. Der Vorrang der losweisen Vergabe bei öffentlichen Aufträgen gilt auch weiterhin, die Zusammenfassung von Fachlosen in einem Vertrag muss ausdrücklich begründet werden. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass nun deutlich mehr Verfahren für die Vergabe von Planungsleistungen europaweit bekannt gemacht werden müssen. Die Bundesregierung geht in der Begründung zum genannten Gesetzentwurf davon aus, dass rund 10.000 Planungsaufträge mehr als bisher nach der VgV abgewickelt werden müssen. Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen diese Änderung in der Praxis haben wird.

Der geplanten Änderung der VgV liegt ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission zugrunde, die in der deutschen Regelung einen Verstoß gegen die europäischen Vergaberichtlinien sieht. Mit dem Gesetzgebungsverfahren reagiert die Bundesregierung auf diese seit Jahren laufende Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Deutschland wegen der Auftragswertermittlung bei der Vergabe von Planungsleistungen. Anders als beim Verfahren der Kommission wegen der verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI will Deutschland dieses Mal keine Entscheidung des EuGH erzwingen.

Die ausführliche Stellungnahme der Planerverbände legt hingegen dar, warum den zu erwartenden negativen Auswirkungen kein erkennbarer Vorteil im Sinne einer Stärkung des europäischen Binnenmarkts gegenübersteht. Bei den bislang europaweit ausgeschriebenen großen Planungsaufträgen gab es so gut wie kein Interesse ausländischer Planungsbüros, wie sich der Antwort der seinerzeitigen Bundesregierung Ende 2020 auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion entnehmen lässt.

„Es ist absurd, einen funktionierenden Planungsmarkt aus Prinzipienreiterei massiv zu gefährden,“ mahnt Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. „Die Kommission schlägt leider alle vorgebrachten Argumente in den Wind. Wir fordern daher, dass sich der Europäische Gerichtshof mit dem Thema befasst. Der EuGH hat schon mehrmals einen besseren Gesamtüberblick erkennen lassen als die Kommission oder auch der jeweilige Generalanwalt.“

Die Bundesregierung hatte die beanstandete Regelung bislang verteidigt, lehnt eine Auseinandersetzung vor dem EuGH aber ab. Nach Beschlussfassung durch das Kabinett wird der Entwurf Bundestag und Bundesrat zugeleitet, die der Änderung zustimmen müssen. Nach Vorstellung der Bundesregierung soll das Verfahren noch vor der Sommerpause abgeschlossen sein.

Download

Stellungnahme der Kammern und Verbände zum Referentenentwurf der Vergabeverordnung (VgV)


Die Stellungnahme im Wortlaut

Referentenentwurf der Bundesregierung einer Verordnung zur Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare („eForms“) für EU-Bekanntmachungen und an weitere europarechtliche Anforderungen

Stellungnahme der Kammern und Verbände der planenden Berufe sowie des Bundesverbandes der freien Berufe zur Aufhebung des § 3 Abs. 7 Satz 2 der Vergabeverordnung (VgV) und der vergleichbaren Vorschriften in der Sektorenverordnung (SektVO) und der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV)

Zunächst bedanken wir uns für die Möglichkeit, zum oben genannten Referentenentwurf Stellung zu nehmen. Wir beschränken uns im Rahmen dieser Stellungnahme auf die vorgesehene Aufhebung des § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV. Für die Aufhebung des § 2 Abs. 7 Satz 2 SektVO und des § 3 Abs. 7 Satz 3 VSVgV gelten die nachfolgenden Ausführungen entsprechend.

Zu den vorgesehenen Anpassungen infolge der Durchführungsverordnung (EU) 2019/1780 werden sich die diese Stellungnahme tragenden Organisationen gegebenenfalls gesondert äußern, unter Umständen auch erst im weiteren Verlauf des Verordnungsgebungsverfahrens.

Wir fordern die Bundesregierung dringend auf, § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV sowie die
entsprechenden Vorschriften in der SektVO und der VSVgV nicht aufzuheben.

Begründung:

Massive Verwerfungen im deutschen Planungsmarkt zu erwarten

Eine Änderung des deutschen Vergaberechts im Sinne der Vorstellungen der EU-Kommission würde zu erheblichen Umwälzungen in der Vergabepraxis führen. Durch eine geänderte Vergabepraxis wäre Deutschland in besonderem Maße betroffen: Das Leistungsbild der Planerinnen und Planer reicht von der Planung bis hin zur Vorbereitung der Vergaben und der Bauüberwachung. In vielen anderen EU- Staaten wird dagegen "nur" das Design ausgeschrieben.

In Deutschland wird der Anteil aller Planungskosten an den Gesamtbaukosten mit ca. 26 % beziffert. Bei Zugrundelegung von derzeit 215.000 € als Schwellenwert für die Planungsleistungen wären diese bereits bei Projekten europaweit auszuschreiben, deren Gesamtkosten bei ca. 860.000 € liegen.

Bei einer Zusammenrechnung aller Planerhonorare wäre eine europaweite Ausschreibung dieser Leistungen bei nahezu allen öffentlichen Bauvorhaben die Folge (bereits der Neubau einer Kita kostet meist zwischen 3 und 7 Mio. €), während der Anteil – ebenso wie bei der Vergabe von Bauleistungen - derzeit bei ca. 3, 5 % liegen dürfte (vgl. Antworten vom 22.12.2020 der seinerzeitigen Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion (BT-Drucksache: 19/24849, dort Seite 4). Dies würde die Vergabestellen, insbesondere auf kommunaler Seite, überfordern. Da der Schwellenwert für EU-weite Bauvergaben knapp 5,4 Mio € beträgt und damit in der Relation über sechs Mal so hoch liegt, würden die planungsspezifischen Auftragsvergaben als zu erwartende Reaktion im Zweifel durch sogenannte Totalunternehmervergaben ersetzt werden. Totalunternehmer, häufig auch als Generalübernehmer bezeichnet, übernehmen im Rahmen eines Bauvertrages auch die Planungs- und Ingenieurleistungen. Die Folge wäre eine Existenzgefährdung für die mittelstandsgeprägte Planungswirtschaft in Deutschland. Diese zeichnet sich durch die vielen leistungsfähigen kleineren Büros aus, die sich gerade in Krisenzeiten als überaus resilient erwiesen haben.

Hieran dürfte auch nichts ändern, dass in der Begründung zum Verordnungsentwurf der zusätzliche Erfüllungsaufwand für die Verwaltung auf lediglich 11 € pro Vergabe beziffert wird (Seiten 4, 24).

Diese Zahl ist zumindest mit Blick auf die Frage, welche Kosten hierbei einbezogen worden sind, schon deshalb zu hinterfragen, weil die Verfahrensdauer eines Verfahrens im Oberschwellenbereich etwa doppelt so hoch ist wie im Unterschwellenbereich. Noch weniger nachvollziehbar ist, dass die Kosten für die Bieter bei EU-weiten Verfahren um 25 € unter denen bei Unterschwellenverfahren liegen sollen. Eine kürzlich Umfrage der Bundesarchitektenkammer hat ergeben, dass sich 93% der Architekturbüros nicht an Verfahren im Oberschwellenbereich beteiligen. Als einer der Hauptgründe hierfür wird der zu hohe Aufwand genannt.

Auch die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände geht in ihrer Stellungnahme zur Konsultation zur Transformation des Vergaberechts davon aus, dass die Streichung des § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV auf Vergabe- wie Auftragnehmerseite „mit einem deutlichen Mehr an Bürokratie samt Folgekosten verbunden“ wäre (dort Seite 8). Zugleich fordert sie für diesen Fall unter anderem eine erleichterte und zusammengefasste Vergabe von Planungs- und Bauleistungen unter Lockerung des Gebots zur losweisen Vergabe und damit die Ermöglichung der Totalunternehmervergabe. Dies bestätigt ungeachtet der Ausführungen in der Begründung zur Streichung des § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV (Seiten 25/26 des Referentenentwurfs) unsere Befürchtungen. Infolgedessen verlöre die VgV, insbesondere dessen Abschnitt 6, für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen weitgehend ihre praktische Bedeutung.

Binnenmarktrelevanz tendiert gegen Null

Den beschriebenen negativen Auswirkungen steht kein erkennbarer Vorteil im Sinne einer Stärkung und Vertiefung des europäischen Binnenmarkts gegenüber. Bei den bislang europaweit ausgeschriebenen großen Planungsaufträgen gab es so gut wie kein Interesse ausländischer Planungsbüros. Eine vom Architects Council of Europe vor einigen Jahren in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Cross-border Services trade and regulation" kommt zu dem Ergebnis, dass es im Bereich Architektur nicht viele grenzüberschreitende Dienstleistungen gibt. Dies liegt laut der Studie in erster Linie an den unterschiedlichen Rechtssystemen und fehlenden Sprachkenntnissen.

Hinzukommt, dass die Bauleitung in Deutschland absolut ca. 1/3 des Leistungsbildes der Planerleistung ausmacht und diese eine absolut ortsgebundene Tätigkeit darstellt.

Entsprechend verhält es sich mit Ingenieurleistungen. Eine Vorgabe zur EU-weiten Ausschreibung auch bei kleineren Aufträgen würde hieran nichts ändern. Sie entfalten aufgrund ihres geringen Volumens keinerlei Binnenmarktrelevanz. Hinweisen möchten wir in diesem Zusammenhang noch einmal auf die oben genannten Antworten der seinerzeitigen Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion, dort Seite 5/6: Der Anteil von Verfahren des Bundes zur Vergabe von Planungsleistungen im Oberschwellenbereich, bei denen der Zuschlag auf ein Unternehmen aus dem europäischen Ausland erteilt wurde, lag in den Jahren 2015 bis 2019 zwischen 0 und 1,1%, im Durchschnitt bei 0,48%.

Beurteilung durch den EuGH völlig offen

In den Vorbermerkungen sowie der Begründung wird mehrfach betont, dass der Aufhebung des § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV lediglich klarstellende Wirkung zukomme und es sich in der Zusammenschau mit der Begründung zu dieser Vorschrift um eine europarechtskonforme Regelung handele. Es dürfte einmalig sein, dass sich ein Mitgliedstaat von dritter Seite vorschreiben lässt, seine als rechtmäßig erkannte nationale Gesetzgebung zu ändern. Trotz der aus Sicht der Bundesregierung offensichtlichen Unbegründetheit des Vertragsverletzungsverfahrens soll der Forderung der EU- Kommission allerdings auch entsprochen werden, weil bei einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Unterliegen drohe.

EuGH entscheidet nicht zwingend im Sinne der EU-Kommission

Wenn diese Einschätzung der Bundesregierung zuträfe, wäre das Rechtssystem der EU allerdings insgesamt zu hinterfragen. Wir teilen diese Wertung allerdings ausdrücklich nicht. Der EuGH hat in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass er den Wertungen und Argumenten der EU-Kommission nicht folgt. Beispielhaft genannt sei das Verfahren gegen die verbindlichen Mindestsätze der HOAI (C- 377/17), in dem das Gericht alle von der Kommission vorgetragenen Argumente zurückgewiesen und der Klage stattdessen unter Hinweis auf fehlende Qualifikationsanforderungen im Planungssektor und einer dadurch verursachten Inkohärenz im deutschen Rechtssystem stattgegeben hat. Noch eindeutiger ist das Verfahren zur Wirkung der verbindlichen HOAI-Mindestsätze vor Erlass der HOAI 2021 (C-261/20). Entgegen der Auffassung der Kommission und des Generalanwalts sowie wohl auch der rechtlichen Bewertung der Bundesregierung haben die EuGH-Richter eine direkte Aushebelung des nationalen Rechts durch die Dienstleistungsrichtlinie abgelehnt. Der Bundesregierung wäre daher ein etwas größeres Vertrauen in die Qualität der deutschen Gesetzgebung wie auch die Urteilsfähigkeit des EuGH zu wünschen. Den in der Begründung zum Referentenentwurf enthaltenen Hinweis auf die mit einem Verfahren vor dem EuGH verbundenen finanziellen Risiken können wir nur verwundert zur Kenntnis nehmen. Er zeigt, welchen geringen Stellenwert die Bundesregierung der mit der Streichung des § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV zu erwartenden Disruption der deutschen Planungslandschaft beimisst. Vor kurzem hat die EU-Kommission bekannt gemacht, Deutschland wegen Nichtumsetzung der sogenannten „Whistleblower-Richtlinie“ vor dem EuGH zu verklagen. Die Bundesregierung hat hier offenbar keine Bedenken, die entspechenden Risiken auf sich zu nehmen.

Miss-/Überinterpretation des Autalhallen-Urteils durch die Bundesregierung

In geradezu unzulässiger Weise wird in der Verordnungsbegründung der vom EuGH im Autalhallen- Urteil vom 15.3.2012 (C-574/10) aufgestellte und in der Begründung zu § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV wiedergegebene Grundsatz, wonach für die Auftragswertberechnung eine Zusammenrechnung einzelner Planungsleistungen nach der wirtschaftlichen und technischen Funktion der Leistungen zu bestimmen ist, dahingehend interpretiert, dass dies einer getrennten Bewertung unterschiedlicher Leistungsbilder der HOAI entgegenstünde (S. 23 des Entwurfs). Dies mag der Auffassung der EU- Kommission entsprechen. Der EuGH selbst hat eine solche Aussage nie getroffen, insbesondere nicht im Autalhallen-Urteil, dem ein völlig anders gelagerter Sachverhalt zugrunde lag. Dort ging es um die Frage, ob die unterschiedlichen Leistungsphasen innerhalb eines Leistungsbildes zusammenrechnen sind, was auch aus unserer Sicht unzweifelhaft der Fall ist.

Damit hat der EuGH zwar Grundsätzliches festgehalten, aber nur für den konkreten Fall der Aufteilung von Planungsleistungen in verschiedene Abschnitte die voraussetzung für eine Zusammenrechnung als gegeben entschieden. Wann darüber hinaus die notwendige innere Kohärenz und funktionelle Kontinuität in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht gegeben sein soll, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Insbesondere bei einer Zusammenschau mit den Besonderheiten im deutschen Planungssektor sowie den hiesigen Marktstrukturen ist es durchaus möglich, dass die vom EuGH aufgestellten Tatbestandsmerkmale innere Logik, innerer Zusammenhang sowie funktionelle Stetigkeit und Dauerhaftigkeit in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht bei unterschiedlichen Planungsleistungen regelmäßig als nicht erfüllt angesehen werden.

Richtlinie 2014/24/EU steht § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV nicht zwingend entgegen

Mit Blick auf die Richtlinie 2014/24/EU (im folgenden VergabeRL 2014) ist unbestritten, dass dort eine spezielle Bestimmung, die dem § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV entsprechen würde, nicht existiert. Ebenfalls enthält die Richtlinie aber auch keine Vorgabe, denen ohne Weiteres die Unzulässigkeit einer differenzierenden nationalen Vorschrift entnommen werden könnte. Deswegen erscheint es auch folgerichtig, dass die fraglichen deutschen Maßgaben für die Zusammenrechnung (früher) von allen freiberuflichen Leistungen, nunmehr (nur noch) von Planungsleistungen sehr lange Zeit nicht beanstandet wurden, obwohl die diesbezüglichen europarechtlichen Vorgaben seit der Richtlinie 92/50/EWG und der Richtlinie 2004/18/EG unverändert geblieben sind. Dass mit der VergabeRL eine gegenüber der bisherigen nationalen Rechtslage weitergehende Auftragswertdefinition beabsichtigt sein könnte, ist der Richtlinie auch in ihren Erwägungsgründen nicht zu entnehmen. Im Gegenteil: Der Kommissionsentwurf der Richtlinie enthielt mit einem neuen Art. 1 Nr. 2 UAbs. 2 eine Regelung, wonach die Gesamtheit der Bauleistungen, Lieferungen und/oder Dienstleistungen eine einzige Auftragsvergabe darstellen sollte, „auch wenn sie im Rahmen verschiedener Aufträge beschafft werden“. Dieser Vorschlag wurde nach massiver Kritik vor allem seitens der EU-Parlamentarier ersatzlos gestrichen. Stattdessen wurde mit Art. 3 VergabeRL 2014 sogar ausdrücklich die Möglichkeit geschaffen, Teile von gemischten Aufträgen, die die Vergabe von zwei oder mehr Arten öffentlicher Aufträge zum Gegenstand haben und „objektiv trennbar“ sind, getrennt zu vergeben, mit der Folge, dass die Teile, die unter dem jeweiligen Schwellenwert liegen, nicht mehr dem vergaberechtlichen EU- Sekundärrecht unterfallen.

Anhebung der Schwellenwerte

Wir begrüßen es, dass sich die Bundesregierung entsprechend dem Beschluss des Bundesrates vom 10.2. (BR-Drs. 602/22) dafür einsetzen wird, die Schwellenwerte zur Anwendung es GWB- Vergaberechts im Europa- und Völkerrecht einzusetzen. Entsprechende Bemühungen bereits der Vorgängerregierung haben wir stets anerkannt. Im Zuge ihrer Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 konnte die Bundesregierung immerhin erreichen, dass sich der Rat der Europäischen Union in seinen Schlussfolgerungen vom 25.11.2020 dafür ausgesprochen hat, Möglichkeiten zur Erhöhung der EU-Schwellenwerte und die Anwendung der Sonderregelungen für soziale und andere besondere Dienstleistungen mit einem Schwellenwert von 750.000 € auf weitere Dienstleistungen auszuweiten. Der Prozess ist also bereits seit längerem eingeleitet, ohne dass in irgendeiner Weise Fortschritte erkennbar wären. Wir gehen daher nicht davon aus, dass er in einem zeitlich überschaubaren Rahmen zum Erfolg führt. Er stellt daher keine Alternative zur Beibehaltung des § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV sowie der entsprechenden Vorschriften in der SektVO und der VSVgV dar. Diese müssen daher beibehalten werden.

Berlin, 1.3.2023

Bundesarchitektenkammer
Bundesingenieurkammer
Bund Deutscher Architektinnen und Architekten
Bund Deutscher Baumeister
Bund Deutscher Innenarchitekten
Bund Deutscher Landschaftsarchitekten
Bundesverband Freier Berufe
Bundesverband der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik
DAI Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine
Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung
Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung
Förderverein der Bundesstiftung Baukultur
Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung
Vereinigung Freischaffender Architekten Deutschlands
Verband Beratender Ingenieure
Verband Deutscher Vermessungsingenieure
Zentralverband der Ingenieurvereine (ZBI) e.V.

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Stellungnahme der Kammern und Verbände zum Referentenentwurf der Vergabeverordnung (VgV)

Unterzeichnende Kammern und Verbände

Bundesarchitektenkammer, Bundesingenieurkammer, Bund Deutscher Architektinnen und Architekten, Bund Deutscher Baumeister, Bund Deutscher Innenarchitekten, Bund Deutscher Landschaftsarchitekten, Bundesverband Freier Berufe, Bundesverband der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure, Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik, DAI Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine, Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung, Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung, Förderverein der Bundesstiftung Baukultur, Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung, Vereinigung Freischaffender Architekten Deutschlands, Verband Beratender Ingenieure, Verband Deutscher Vermessungsingenieure, Zentralverband der Ingenieurvereine

Quelle:Bundesarchitektenkammer, Bundesingenieurkammer, VBI

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