05.09.2022 - Berlin
Hohe Energiepreise, Lieferengpässe bei wichtigen Rohstoffen, coronabedingte Personalausfälle, Unsicherheiten wegen des Ukraine-Krieges - laut einer aktuellen Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft sieht sich besonders die Bauwirtschaft von einer Rezession bedroht. Im Interview erläutert Dr. Ronald Rast, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau, wie die Lage bei den Mauerstein produzierenden Unternehmen ist, wie die Politik gegensteuern müsste und warum die Mauerwerksindustrie unverzichtbar sei, um die Klima- und Wohnungsbauziele zu erreichen.
Herr Dr. Rast, Sie haben im zweiten Quartal 2022 Ihre Mitgliedsunternehmen zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges befragt. Was war das Ergebnis?
Dr. Rast: Noch am Ende des Vorjahres hatten wir für 2022 ein weiteres leichtes Anziehen der Baukonjunktur um ein bis zwei Prozent erwartet. Doch nach Ausbruch des Ukraine-Krieges rechnen die von uns Befragten Mitglieder heute damit, dass die Baukonjunktur im laufenden Jahr um zirka ein bis zwei Prozent und danach spürbar zurückgehen könnte. Wir spüren immer mehr, dass Lieferketten am Bau gestört und wir zunehmend stärker von ansteigenden Preisen für Bindemittel, Energie und Kraftstoff betroffen sind. Außerdem hat sich der Transportraum verknappt, weil es an LKW-Fahrern mangelt. Das alles summiert sich und führt nach Einschätzung unserer Mitglieder dazu, dass sie die Mehrkosten an ihre Kunden weitergeben müssen.
Mit welchen Folgen ist konkret zu rechnen?
Dr. Rast: Mit Blick auf die Produktion und Bereitstellung von Mauersteinen rechnen die Unternehmen spätestens ab Herbst 2022 mit erforderlichen Preissteigerungen. Und das ist noch das günstigere Szenario. Wenn die Gaslieferungen aus Russland komplett zum Erliegen kommen, wird es sicherlich zu Betriebsstilllegungen und Kurzarbeit kommen. Die erste Stilllegung eines Betriebes im Dachziegelbereich mit Verweis auf die seit zwei Jahren extrem gestiegenen Gas- und Strompreise gab es jetzt zum 1. September 2022. Die Unternehmen sorgen sich wie lange nicht mehr um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Sie erkennen außerdem, dass sie schneller als geplant in eine Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energien investieren müssen. Und das bei einer immer unsicher werdenden Entwicklung der Baukonjunktur ab 2023.
Was bedeutet das für die Branche und die Kunden?
Dr. Rast: Die
Weitergabe der Mehrkosten und die zunehmende Einführung von Preisgleitklauseln verteuern
jedes Bauprojekt. Investoren und Bauherren können deshalb gezwungen sein bzw.
sind bereits gezwungen, Bauprojekte zu verschieben oder ganz ad acta zu legen. Wie
das Münchner ifo-Institut gerade berichtet hat, war bereits mehr als jedes
zehnte Unternehmen im Wohnungsbau (11,5 %) seit Juli 2022 von Stornierungen
betroffen. Natürlich schlägt sich das dann auch bei den Unternehmen der
Mauerwerksindustrie nieder. Wenn das nur temporär in dieser Größenordnung
auftreten würde, wäre das noch verkraftbar. Aber dafür gibt es keine
Sicherheit.
Momentan geht die Mehrzahl der Unternehmen von zweistelligen Rückgängen ab 2023 aus. Und die aktuelle Entwicklung der Baugenehmigungszahlen bestätigt das leider. Zuerst zeigt sich das bei den privaten Bauherren, die nicht nur Lieferprobleme, Preissteigerungen am Bau und deutlich gestiegene Bauzinsen, nein auch extrem ansteigende Lebenshaltungskosten, zu verkraften haben – also momentan praktisch doppelt belastet werden. Käme es jedoch zu einer Einstellung der Energieversorgung in Form eines Gaslieferstopps, wäre das der Super-GAU. Zahlreiche Werke müssten dann die Produktion einstellen und Kurzarbeit beantragen. Dann könnte nicht mehr gebaut werden, weil Material fehlt.
Wie sollte die Politik aus Ihrer Sicht gegensteuern?
Dr. Rast: In unserer ersten Umfrage zu Jahresbeginn plädierten die Mitglieder für die Sicherstellung der Energieversorgung, für Investitionsförderungen und den Erhalt der Technologieoffenheit. Schon bei der zweiten Frühjahrs-Umfrage kamen zusätzlich Forderungen nach Finanzhilfen, nach einer Reduzierung/Deckelung der Energiekosten und nach einer Absenkung der Besteuerung von Kraftstoffen hinzu.
Wie systemrelevant ist die Mauerwerksbranche?
Dr. Rast: Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 137.000 Wohnungseinheiten (WE) im frei finanzierten Geschoßwohnungsbau, knapp 99.000 WE in Ein- und Zweifamilienhäusern, etwa 21.000 WE im sozialen Wohnungsbau und weitere 37.000 WE durch Baumaßnahmen an bestehenden Häusern errichtet. Im Ein- und Zweifamilienhausbau werden deutlich mehr als 70 Prozent aller Häuser aus Mauerwerk errichtet. Im Geschoßwohnungsbau (frei finanziert und sozialer Wohnungsbau) sind es knapp 70 Prozent –-damit ist der Mauerwerksbau klarer Marktführer bei den aufgehenden Wandkonstruktionen im Wohnungsbau.
Gemäß einer im Juli 2022 veröffentlichten Studie des Pestel Instituts Hannover wird mit dem Bau von Gebäuden aus Mauerwerk ein jährlicher Umsatz von rund 60 Mrd. Euro, eine Wertschöpfung von fast 80 Mrd. Euro sowie eine Erwerbstätigkeit von insgesamt 1,178 Mio. Beschäftigten generiert.
Um es ganz klar zu sagen: Ohne die Mauerwerksindustrie kann die Ampel-Koalition ihre anvisierten Wohnungsbauziele gar nicht erreichen.
Lassen sich die jährlich 400.000 geplanten neuen Wohnungen – darin inbegriffen 100.000 Sozialmietwohnungen – angesichts der Energie- und Materialprobleme überhaupt realisieren?
Dr. Rast: Lange
war der Wohnungsbau der Impulsgeber der Bauwirtschaft.
Jetzt verliert er nicht nur an Schwung. Uns steht offenbar, zumindest ab 2023,
eine Rezession bevor. Das konstatierten immer mehr Spitzenverbände der Bau-
und Wohnungswirtschaft. Zu den bereits aufgezählten Fakten kommt im ersten
Halbjahr 2022 noch ein Förderchaos rund um die KfW-Förderung hinzu. Der
wiederholt abrupte Stopp der KfW-Förderung hat viele Bauherren in Finanzierungsnöte
gebracht und das Vertrauen in die Politik der Bundesregierung untergraben. Die
Politik muss alles dafür tun, damit die Rahmenbedingungen verlässlicher und das
Bauen günstiger und einfacher werden. Das sollte sich bezüglich der Etats für
die Wohnungsbauförderung unbedingt nochmals in den anstehenden
Haushaltsdebatten des Deutschen Bundestages für die Haushaltsplanung ab 2023
niederschlagen – insbesondere bei der sozialen Wohnraumförderung!
Mit den bisher angedachten Mitteln vom Bund, aber auch speziell von der Mehrzahl der Bundesländer, sind die gesetzten Wohnungsbauziele momentan nicht erreichbar. Hier ist das Zusammenwirken von Bund und Ländern oft nicht mehr nachvollziehbar. Dem Bürger, der keinen angemessenen Wohnraum mehr findet, ist es egal, ob die Bundes- oder Landespolitik versagt hat. Außerdem brauchen wir in der jetzigen Situation den Mut zu unkonventionellen Maßnahmen und Erleichterungen – gern zunächst temporär – im Bereich der Bau- und Genehmigungsplanung. Und die steigenden Bauzinsen erhöhen natürlich die Attraktivität von zinslosen Krediten und langfristig planbaren Baudarlehen für private Bauherren. Im steuerlichen Bereich muss unbedingt schnell über Erleichterungen bei der Grunderwerbssteuer entschieden werden. Vielleicht kann man auch die ohnehin geplante Erhöhung der Abschreibung von zwei auf drei Prozent nochmals vorziehen.
Wäre Serielles Bauen ein Schlüssel in dieser Situation?
Dr. Rast: Ich
denke, wir sollten uns nicht länger mit theoretischen Diskussionen um eine
Definition des Seriellen Bauens aufhalten. Spätestens seit dem letzten Bauboom nach
der Wiedervereinigung hat sich in der Praxis bewiesen, dass die Arbeit mit
typisierten Grundrissen und passgenau vorgefertigten, möglichst schnell zu
verarbeitenden Wandkonstruktionen enorm vorteilhaft ist und bei wiederholter
Anwendung nicht nur in der Planung, sondern auch in der Verarbeitung die
Erschließung von zusätzlichen Skalierungseffekten ermöglicht. Wir haben das in
den 90er Jahren bereits speziell untersucht und bei der Errichtung typisierter
Wohnungsbauten bis zur 15. Wiederholung noch deutliche Verkürzungen in der
Bauzeit festgestellt, wenn mit den gleichen Bauteams gearbeitet wurde.
Praktisch
alle Mauersteinhersteller bieten neben den klassischen Mauersteinen schon seit
langem großformatige, im Werk vorkonfektionierte Wandsysteme an. Was deutlich mehr
Vorbereitungs- und Planungsaufwand bedeutet, ist die Arbeit mit raumgroßen Wandtafeln
oder ganzen Raumzellen, die vom Gewicht und den Abmaßen mit den üblichen
Logistikketten nicht mehr beherrschbar sind. Da lohnt sich dieser Aufwand nur
ab einer gewissen Stückzahl und Nachfrage.
Warum verweise ich hier so auf den Zusammenhang zwischen Bausystem und Nachfrage? Als noch junger Manager in der Mauerwerksindustrie habe ich erlebt, dass viele Bauunternehmen, die sich in der Bauboom-Phase der Wiedervereinigung praktisch ausschließlich auf großformatige und vorkonfektionierte Bausysteme umgestellt hatten, ab 1997 über Nacht wieder mit kleinformatigen Zweihandsteinen beliefert werden wollten. Der Grund dafür war simpel: Sie wollten die wenigeren Aufträge lieber langsam und kontinuierlich mit ihrem Stammpersonal abarbeiten, als alle paar Tage in Kurzarbeit zu gehen und damit zu riskieren, die verbleibenden Fachkräfte auch noch zu verlieren. Vielleicht sollte man heute solche Erfahrungen bewusst nicht verdrängen.
Bauen soll günstiger und klimaneutral werden. Wie lässt sich das in Balance bringen?
Dr. Rast: Nun zum Beispiel mit Mauerwerk! Bei den Herstellungs- und Lebenszykluskosten ist der Mauerwerksbau um mehr als zehn Prozent in der Herstellung – und bis zu 25 Prozent über den Lebenszyklus hinweg betrachtet – günstiger als andere Bauweisen.
Dazu kommt, dass sich mit Massivbauten im Gegensatz zu energetisch vergleichbaren Häusern leichterer Bauart jedes Jahr über zehn Prozent der Heizkosten senken lassen. Denn Mauerwerk speichert über den Tag die Wärmenergie und gibt sie abends an den Innenraum wieder ab. Deshalb wird in Massivbauten im Herbst später mit dem Heizen begonnen und im Frühjahr etwas eher aufgehört – man fühlt sich trotzdem behaglich. Übrigens – ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich massive Gebäude in heißen Sommern auch nicht so stark aufheizen – sie sind dann im Innenraum um zirka drei Grad Celsius kühler als vergleichbare leichtere Bauwerke. Das schafft ein angenehmeres Wohngefühl, schont die Umwelt und den Geldbeutel.
Soviel nur zu den Kosten. Und was die Treibhausgasemission angeht: Im Vergleich zu anderen Bauweisen hat ein Gebäude aus Mauerwerk den kleinsten ökologischen Fußabdruck. Gemauerte Mehrfamilienhäuser stoßen über einen realen Lebenszyklus von rund 80 Jahren inklusive Rückbau etwa vier Prozent weniger CO2 aus, als vergleichbare Häuser in Holzrahmenbauweise. Und zurückgebautes Mauerwerk wird zu etwa 94 Prozent schon heute wieder einer weiteren Nutzung zugeführt. Das bedeutet: Der Mauerwerksbau ist schon heute eine wirtschaftliche und klimafreundliche Bauweise.
Aber auch das ist noch nicht alles. Auf Grund der politischen Zielsetzung, bis 2045 nur noch klimaneutrale Gebäude errichten zu dürfen, hat sich meine gesamte Branche insbesondere in den letzten drei Jahren mit wissenschaftlicher Unterstützung auf den Weg in die Klimaneutralität gemacht. Dabei wurden Sachverhalte wie die Recarbonatisierung praktisch erstmals tiefgründig untersucht und führten zu erstaunlichen Erkenntnissen. Die Recarbonatisierung, also die Fähigkeit zement- und kalkgebundener Mauersteine zur Aufnahme von CO2 aus der Luft über den gesamten Lebenszyklus, muss zukünftig in der gesamten Betrachtung von Bauweisen unbedingt mit berücksichtig werden. So sind Mauersteine nachweislich in der Lage, bis zu 70 kg CO2 pro Tonne verbautem Material über den gesamten Lebenszyklus dauerhaft zu speichern. Damit werden Gebäude aus Mauerwerk, die zunehmend mit immer klimafreundlicheren Produkten errichtet werden, zu einer CO2-Senkenwirkung im Gebäudebereich beitragen.
… aber warum gibt es dann so viele Holzbau-Initiativen?
Dr. Rast: Das frage ich mich auch. Wir als Mauerwerksindustrie brauchen auch weiterhin Holz am Bau, um die überwiegend mit Mauersteinen errichteten Häuser fertigstellen zu können – zum Beispiel für Dachstühle, Fenster, Türen und Treppen. Übrigens hat der Hamburger Marktforscher Prof. Mantau einmal ermittelt, dass wegen der hohen Marktanteile in Steinhäusern mehr Kubikmeter Bauholz mit in den Markt gebracht werden als direkt in Holzhäusern. Planer und Bauherren haben ohne staatliche Eingriffe schon lange ihr Optimum für den Einsatz bestimmter Baustoffe gefunden. Eigentlich bauen wir schon immer sogenannte „Hybridhäuser“ – wenn man diese als Häuser definiert, die aus mehreren Baustoffen bestehen. Es gibt weder reine Holz- noch reine Steinhäuser. Allein für das Fundament benötigen beide noch Beton.
Mit Blick auf die gesetzten Klimaschutzziele muss die Mauerwerksindustrie noch große Anstrengungen aufbringen, um den bereits eingeschlagenen Weg hin zu klimaneutralen Baustoffen so schnell wie möglich gehen zu können. Angesichts der insbesondere seit 2018 festzustellenden Schäden in unseren Wäldern habe ich großes Verständnis dafür, dass staatliche Mittel zur Wiederaufforstung sowie zum Umbau und Schutz unserer Wälder gegen die zunehmenden Einwirkungen des Klimawandels aufgewendet werden.
Aber warum gleichzeitig – ebenfalls mit staatlichen Mitteln – immer neue Holzbau-Offensiven gestartet werden, die zu noch mehr Entnahme von Bäumen aus unseren Wäldern führen und insbesondere in der Baubranche vermeintlich umweltschädlichere Baustoffe und Energieträger durch vermehrten Holzeinsatz ersetzen sollen, bedarf wohl mehr denn je einer umfassenden Diskussion. Der WWF verweist auf einen Holzverbrauch in Deutschland, der pro Kopf schon jetzt mehr als doppelt so hoch ist wie im internationalen Vergleich. Herr Wohlleben weist immer wieder auf die kritische Situation in unseren Wäldern und die vielfältigen Funktionen intakter Wälder hin. Herr Sobek warnt vor einer CO2-Bindungslücke, wenn wir gerade jetzt vermehrt Holz aus den Wäldern entnehmen.
Auch und gerade muss dabei zur Wirkung der Baustoffe über den gesamten Lebenszyklus inklusive Rückbau sowie über die dauerhafte Einlagerung von CO2 in Baustoffen – auch nach dem Rückbau – weiterdiskutiert werden! Wo können und müssen endliche staatliche Mittel sinnvoll eingesetzt werden, um die gesetzten Klimaschutzziele so schnell und so nachhaltig wie möglich zu erreichen?
Herr Dr. Rast, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Quelle: Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM), Foto; Christoph Große
(DGfM
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