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IG BAU warnt Immobilienwirtschaft vor Rückzug aus dem Wohnungsbau

Umbau-Offensive gefordert

22.06.2022 - Frankfurt am Main

IG BAU warnt Immobilienwirtschaft vor Rückzug aus dem Wohnungsbau

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hat die Immobilienwirtschaft davor gewarnt, die Mietenspirale weiter nach oben zu drehen und damit die Inflation zusätzlich anzuheizen. Völlig unverantwortlich sei zudem die Ankündigung weiter Teile der Immobilienwirtschaft, bereits geplante Projekte im Wohnungsneubau künftig auf Eis zu legen.

„Es ist fatal, in einer Phase wachsender Zuwanderung und zunehmender Wohnungsnot beim Neubau auf die Bremse zu treten. Wer dann noch munter an der Mietenschraube drehen will und darüber auch noch öffentlich spricht, lässt jedes Maß an sozialer Verantwortung vermissen“, sagt der IG BAU-Bundesvorsitzende, Robert Feiger.

Er fordert die Immobilienwirtschaft auf, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Dies bedeute, bei den Mieten Maß zu halten, auf Steigerungen weitgehend zu verzichten und darüber hinaus beim Wohnungsbau nicht nachzulassen. „Es darf nicht um Gewinnmaximierung und Top-Renditen gehen. Wer auf dem Wohnungsmarkt aktiv ist, hat auch eine soziale Verantwortung. Wohnungen dürfen nicht zur reinen Ware verkommen“, sagt IG BAU-Chef Robert Feiger.

Die Bau-Gewerkschaft äußerte sich im Vorfeld des „Tages der Immobilienwirtschaft“ vom Zentralen Immobilien-Ausschuss (ZIA), der am Mittwoch, den 22. Juni 2022 in Berlin stattfand. Sponsor war unter anderem Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia, der vorübergehend mit der Ankündigung von Mieterhöhungen in die Schlagzeilen geriet.

Umbau-Offensive gefordert

Die IG BAU appelliert an die Immobilienwirtschaft, angesichts der aktuell schwierigeren Neubaubedingungen – hier vor allem Materialengpässe, steigende Materialpreise und anziehende Bauzinsen – nach alternativen Wegen zu suchen. Gewerkschaftschef Feiger fordert die Immobilienwirtschaft dabei zu mehr Flexibilität auf: „Notwendig ist jetzt, die Schaffung von neuem Wohnraum der Situation anzupassen und Bauvorhaben zu switchen. Wenn der Neubau nicht realisierbar erscheint, bietet gerade der Umbau vorhandener Nicht-Wohngebäude zu Wohnungen große Chancen: Er braucht deutlich weniger Material – und ist schon deshalb der passende Weg zu mehr Wohnungen in der Krise.“

Allein durch den Umbau von Büros, die durch das Etablieren vom Homeoffice nicht mehr gebraucht werden, könnten bis zu 1,9 Millionen neue Wohnungen entstehen. Und das deutlich kostengünstiger als im Neubau. Deutschland brauche eine „Umbau-Offensive“, so der IG BAU-Chef weiter.

Auch die Dachaufstockung bei Wohnhäusern, die in der Nachkriegszeit bis zum Ende der 90er-Jahre gebaut wurden, biete ein enormes Potential: Rund 1,5 Millionen neue Wohnungen seien allein hier durch On-Top-Etagen möglich – und ebenfalls günstiger als jeder Neubau.

Feiger warnt die Immobilienwirtschaft davor, in eine „bequeme Lethargie“ zu fallen: „Es ist gerade für große private Wohnungsgesellschaften natürlich bequem, die Hände in den Schoß zu legen, wenn man weiß, dass jede Wohnraumverknappung auf dem Markt letztlich zu steigenden Mieten und damit zu höheren Renditen führt.“ Das sei allerdings ein „sehr perfider Umgang mit der Krise“.

„Rendite-Gier“ verurteilt

Die IG BAU verurteilt die „Rendite-Gier“ einzelner Großvermieter. Als Beispiele nennt er die beiden führenden börsennotierten Wohnungskonzerne Vonovia (Bochum) und LEG Immobilien (Düsseldorf). Vonovia habe in nur fünf Jahren die Durchschnittsmiete um 21,8 Prozent nach oben geschraubt (von 6,02 Euro pro Quadratmeter Nettokaltmiete in 2016 auf 7,33 Euro in 2021). Und die LEG Immobilien habe die Mieten in diesem Zeitraum um 16,1 Prozent hochgetrieben (von 5,28 Euro in 2016 auf 6,13 Euro in 2021). Zum Vergleich: Die Verbraucherpreise sind in dieser Zeit um knapp 8,6 Prozent gestiegen. Die IG BAU beruft sich dabei auf eine Mietmarktanalyse des Pestel-Instituts (Hannover).

„Vonovia und LEG Immobilien sind Preistreiber auf dem Wohnungsmarkt. Sie sind dabei aber leider keine Einzelfälle“, sagt IG BAU-Chef Feiger. Zu beobachten sei, dass gerade von großen privaten Wohnungsgesellschaften – wie etwa der LEG Immobilien – ausgerechnet der Mietspiegel immer wieder herangezogen werde, um Mietsteigerungen am Markt durchzusetzen. „Hier schraubt sich der Markt die Mieten selbst zurecht. Leidtragende sind Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen. Wer im Niedriglohnbereich arbeitet, für den wird die Luft immer dünner“, sagt der IG BAU Bundesvorsitzende Robert Feiger.

Bei einer Familiengründung sei der Hausbau oder der Kauf einer Eigentumswohnung für die meisten tabu: So sei der Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern bereits im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen (von 107 750 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern in 2020 auf 98 300 in 2021). Hier droht künftig ein weiterer, massiver Rückgang, so IG BAU-Chef Feiger. Für immer mehr Privathaushalte platze der Traum vom Eigenheim. Selbst viele Facharbeiter*innen könnten sich längst kein Wohneigentum mehr leisten.

Mietwohnungsbau und sozialer Wohnungsbau

Umso wichtiger sei der Mietwohnungsbau – und hier vor allem der soziale Wohnungsbau. Neben ukrainischen Kriegsflüchtlingen kämen derzeit auch mehr Zuwanderer nach Deutschland, um hier zu arbeiten. „Das sind Arbeitskräfte, die wir dringend brauchen – auf dem Bau und in vielen anderen Branchen. Aber die Menschen müssen auch wohnen: Neben ordentlich bezahlten Arbeitsplätzen müssen wir ihnen genauso akzeptable Wohnverhältnisse bieten. Das bedeutet: Je mehr sich die Probleme auf dem Wohnungsmarkt verschärfen, desto kritischer sieht es auch auf dem Arbeitsmarkt aus. Die Formel ist einfach: Ohne soziale und bezahlbare Wohnungen keine Zuwanderung“, so Feiger.

Der IG BAU-Bundesvorsitzende nennt dazu Zahlen: Nach aktuellen Berechnungen, die das Pestel-Institut für die IG BAU gemacht hat, ist für das laufende Jahr eine Zuwanderung von rund 700 000 Menschen zu erwarten. Etwa 400 000 davon werden ukrainische Kriegsflüchtlinge sein, von denen nur ein Teil dauerhaft in Deutschland bleiben wird, so das Pestel-Institut. Grundsätzlich sei der Arbeitsmarkt dringend auf mehr Beschäftigte aus dem Ausland angewiesen: Um der demografischen Entwicklung entgegenzuwirken und den Bedarf an Arbeitskräften wenigstens zu einem Teil zu decken, rechnen die Wissenschaftler bis 2040 mit einer notwendigen Netto-Zuwanderung von rund 325 000 Menschen pro Jahr.

Doch selbst das wird nach Berechnungen des Pestel-Instituts dazu führen, dass es künftig einen weiteren – sogar deutlichen – Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung gibt. Im vergangenen Jahr wurde die Marge bei der Netto-Zuwanderung bereits nahezu erreicht: 2021 lag sie bei 316 000 Menschen. Das ergab eine Auswertung von Monatsdaten der Wanderungsstatistik (Statistisches Bundesamt) durch das Pestel-Institut.

Die IG BAU spricht bei der notwendigen Zuwanderung von einer „Dimension, die den Wohnungsmarkt vor massive Herausforderungen“ stellt. „Hier muss der Staat insbesondere sozial orientierte – also kommunale, genossenschaftliche und kirchliche – Wohnungsunternehmen in die Lage versetzen, Wohnungen zu bauen. Aber auch die großen privaten Wohnungsunternehmen müssen hier in die Pflicht genommen werden, ihren Beitrag an dieser gesellschaftlichen Aufgabe zu leisten“, fordert IG Bau-Chef Feiger. Man komme dabei nicht umhin, das Bauen bezahlbar zu machen: Konkret gehe es darum, Standards – etwa Energiespar-Auflagen – zu senken und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.

Quelle: Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Foto:Philippe Surber / Unsplash

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