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"Wir brauchen flexible Planungsprozesse statt fester Zukunftsbilder"

Interview zur Zukunft der Energieversorgung in Deutschland

20.04.2022 - München

"Wir brauchen flexible Planungsprozesse statt fester Zukunftsbilder"

Sowohl der Klimawandel als auch der Krieg in der Ukraine zwingen uns dazu, neue Lösungen für die Energieversorgung zu finden. Im Interview erklären zwei Experten, wie diese aussehen könnten. Prof. Thomas Hamacher erforscht am Zentrum für Energie und Information, wie die Energiewende beschleunigt werden kann. Prof. Hartmut Spliethoff ist Experte in den Bereichen Energiesystemanalysen, Kraftwerke, Wärmespeicherung sowie Wasserstofferzeugung und Power-to-X. Er leitet das Zukunftslabor für grünen Wasserstoff.

Die Rufe nach einem Embargo von Erdgas-Lieferungen aus Russland werden immer lauter. Können uns die erneuerbaren Energien in der aktuellen Situation retten? Oder Lieferungen aus anderen Ländern?

Thomas Hamacher: Kurzfristig nicht. Wir nutzen in der Industrie 34 Prozent Gas, in den Haushalten sind es 38 Prozent, im Bereich Gewerbe, Dienstleistung und Handel 28 Prozent. Das kann man nicht über Nacht ersetzen. Auch mit Flüssiggas nicht. Wir haben nicht sehr viele Flüssiggasterminals in Europa, in Deutschland haben wir gar keine. Für deren Aufbau werden einige Jahre benötigt.

Was wäre kurzfristig möglich? Könnten Atomkraft und Kohle ausgleichen?
Hartmut Spliethoff: Wenn das Erdgas wegbricht, wird das gravierende Auswirkungen haben. Bei privaten Verbrauchern können Sie das Erdgas nicht einfach durch Kohle oder Kernkraft ersetzen, wenn die Heizungen auf Erdgas ausgelegt sind. Auch in der Industrie ist eine Umstellung auf andere Energieträger nicht kurzfristig möglich, diese bräuchte einen Vorlauf von bis zu drei Jahren.

Was durchaus ersetzt werden könnte, ist die Stromerzeugung aus Gas, die allerdings nur 20 Prozent des Gasverbrauches ausmacht. Hier könnten wir auf fossile Energieträger zurückgreifen und Kohlekraft verstärkt einsetzen. Natürlich ist auch die Kernenergie eine Option, die aber sehr kontrovers diskutiert wird. Es wäre aber auf jeden Fall eine kurzfristige Maßnahme. Niemand spricht davon, neue Kernkraftwerke zu bauen, weil das viel zu teuer ist, privatwirtschaftlich rechnen sie sich nicht. Hier sind die erneuerbaren Energien günstiger.

Wie könnten wir unseren Energiebedarf in Zukunft decken, wenn wir möglichst auf fossile Energie verzichten?

Prof. Thomas Hamacher, Quelle Bild: A. Eckert / TUM

Hamacher: Ich denke, wir sollten versuchen, eine europäische Lösung zu finden. Gerade Südeuropa, das lange wirtschaftlich gelitten hat, hat sehr gute Solarstandorte, die man ausbauen kann. Im Norden haben wir eher die Windenergie. Da können wir gut zusammenarbeiten. Es wird bei den erneuerbaren Energien immer eine Mischung geben: Fotovoltaik, Windenergie, Wasserkraft, Biomasse, Geothermie. Die Hauptenergiequellen werden Fotovoltaik und Windenergie sein. Wir brauchen beide, weil sie einen saisonalen Ausgleich herstellen. Fotovoltaik ist im Sommer besser verfügbar, Windenergie eher im Winter. Dann sind Technologien nötig, um die anderen Fluktuationen, die es noch gibt, auszugleichen. Da spielt dann unter anderem Wasserstoff eine große Rolle.

Was kann Wasserstoff bei der Energiewende leisten?
Spliethoff: Wichtig ist: Wasserstoff ist keine Primärenergie wie fossile oder erneuerbare Energien. Er ist ein sekundärer Energieträger wie Strom. Der sogenannte grüne Wasserstoff, der in der Zukunft im Fokus steht, wird mithilfe erneuerbarer Energien erzeugt. Die Elektrolyse, mit deren Hilfe der Wasserstoff gewonnen wird, hat einen Wirkungsgrad von 60 bis 70 Prozent. Dann wandle ich Wasserstoff noch um in einen weiteren Energieträger, der besser genutzt werden kann, zum Beispiel in synthetisches Gas oder Treibstoff. Bei diesem Prozess geht weitere Energie verloren. Bei Personenfahrzeugen ist die Elektromobilität deutlich effizienter als die Nutzung von regenerativem Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen, weil die Umwandlungsverluste vermieden werden und der Elektromotor effizienter als der Verbrennungsmotor ist.

Der Schwerlastverkehr oder auch Flugzeuge benötigen dagegen eine hohe Energiedichte, hier sind Wasserstoff oder die daraus gewonnenen Produkte im Vorteil. Wasserstoff ist auch als Energiespeicher sehr gut geeignet. Synthetisches Gas oder flüssiger Treibstoff kann aus Wasserstoff erzeugt und gut transportiert werden. Es wird daher auch diskutiert, Wasserstoff in sonnenreichen Gegenden zu erzeugen, wo die solare Energieerzeugung günstiger ist.

Müssen die Technologien noch weiterentwickelt werden?
Hamacher: Es ist vieles bereits da und wir müssen jetzt mit der Umsetzung beginnen. Natürlich haben diese Technologien noch offene Fragen. Wir haben tolle Windturbinen, trotzdem kann man die Windturbinen verbessern. Wir haben bereits die Elektrolyse, aber man kann sie verbessern. Wir erwarten aber jetzt nicht den großen Quantensprung, der plötzlich alles lösen wird. Aber natürlich hat jede der Technologien noch viele Entwicklungsmöglichkeiten und vor allen Dingen, das darf man nicht unterschätzen, müssen diese Technologien im Gesamtsystem zusammenarbeiten. Und das muss uns erst noch gelingen.

„Wir sehen, dass der Strom aus der Steckdose kommt, aber wie er bereitgestellt wird, interessiert zu wenig”

Prof. Hartmut Spliethoff

An welchen Projekten arbeiten Sie in diesem Zusammenhang aktuell?
Hamacher: Das Projekt „Strom“, gefördert von der Bayerischen Forschungsstiftung, ist sozusagen wie geschaffen für diese Situation. Wir entwickeln hier ein Werkzeug für die Wärmeplanung in ganz Bayern. Diese muss auch mit der Stromplanung zusammengebracht werden, weil in Zukunft immer mehr Wärme mit Strom erzeugt wird. Das heißt, wir untersuchen, wie muss ich das Stromnetz ausbauen, wo mache ich Wärmenetze, wo setze ich welche Heiztechnologie ein. Wir hoffen, dass wir Ende des Jahres schon erste Ergebnisse haben, die dann hoffentlich auch eingesetzt werden.

In unserem Labor im Zentrum für Gekoppelte Intelligente Energiesysteme arbeiten wir an der Sektorkopplung. Der durch die erneuerbaren Energien produzierte Strom soll möglichst in alle anderen Sektoren, also auch in den Wärmesektor und den Verkehrssektor gebracht werden. Wir wollen hier alle wichtigen Wechselwirkungen verstehen. Dazu gehört auch die Infrastruktur. Zum Beispiel, dass genau zu dem Zeitpunkt das Auto geladen oder die Wärmepumpe benutzt wird, wenn der erneuerbare Strom auch zur Verfügung steht.

Prof. Hartmut Spliethoff, Quelle Bild: Fabian Vogl / TUM

Spliethoff: Im Rahmen der Energiewende werden Technologien für die Herstellung Wasserstoff und synthetischen Energieträgen aus regenerativ erzeugtem Strom (Power-to-X) eine wichtige Rolle spielen. An der TUM arbeiten dazu viele Forschungsgruppen, die im Rahmen des interdisziplinären Netzwerks TUM.Hydrogen and PtX abgestimmt werden. Im internationalen Projekt Zukunftslabor Wasserstoff beschäftigen wir uns mit der reversiblen elektrochemischen Brennstoffzelle, der biologischen Wasserstofferzeugung und Biomasse als Energiequelle. Für die Biogas-Nutzung wurde im bundesgeförderten Projekt „BioCORE“ ein Konzept entwickelt, Biogas mit einem hohen Wirkungsgrad in Strom in einer Hochtemperaturbrennstoffzelle umzuwandeln. Das Ziel ist auch diese elektrochemische Brennstoffzelle reversibel zu betreiben, sprich in Zeiten von einem Stromüberschuss wandeln wir den Strom in Erdgas um und können dieses Erdgas speichern, in Zeiten von Strommangel erzeugen wir wiederum Strom aus Erdgas. Auf diese Weise kann man sehr effizient die fluktuierende erneuerbare Erzeugung dem Bedarf abpassen. Eine Ausgründung aus unserem Lehrstuhl wird diese Technologie weiterentwickeln und vermarkten.

Wie wird das zukünftige System aussehen?
Hamacher: Wissenschaftler und Energieexperten zeichnen immer wieder Bilder der Energiezukunft, die aber nur eine sehr eingeschränkte Prognosequalität haben. Denn die Systeme müssen den politischen Vorgaben entsprechen. Aber in vielen Punkten gibt es noch Unsicherheiten und Auseinandersetzungen: Sind in den Zukunftsbildern Kerntechnik oder Verfahren zu Abtrennung und Speicherung von CO2 eingeplant oder nicht? Wird eine globale oder europäische oder nur eine bayerische Lösung angestrebt? Verändert sich unser Lebensstil? Wir haben in der Vergangenheit immer wieder an gesamteuropäischen Lösungen gearbeitet. Wind- und Solarenergie bilden dabei die Grundlage. Der weiträumige Transport von elektrischer Energie tut ein Übriges, kann aber zum Teil durch den Transport von Wasserstoff ersetzt werden.

Ganz andere System würden entstehen, wenn neue Nukleartechniken wie die Fusion technisch und ökonomisch überzeugen könnten. Dann würden wahrscheinlich sehr regionale Versorgungszentren entstehen, die wie im heutigen System nur verbunden sind, um Ausfälle einfacher auszugleichen. Aber insgesamt müssen wir eine Offenheit auf neue Möglichkeiten immer berücksichtigen. Deswegen müssen an die Stelle von festen Zukunftsbilder flexible Planungsprozesse treten, die immer wieder versuchen dem Neuen Raum zu geben, dabei aber immer feste Vorgaben wie Emissionsgrenzen berücksichtigen.

Sehen Sie aufgrund der aktuellen Situation mehr Akzeptanz und Veränderungsbereitschaft in Bereich Energie?
Spliethoff:
Die Menschen sind sich nicht mehr bewusst, wie notwendig eine unabhängige Energieversorgung ist, dass sie Treiber für jegliche Aktivität ist, auch für die Wirtschaft. Wir sehen, dass der Strom aus der Steckdose kommt, aber wie er bereitgestellt wird, interessiert zu wenig. Dafür müssen wir Akzeptanz schaffen.

Hamacher:
Dass jetzt ein wirklicher Ruck durch die Gesellschaft gegangen ist, haben wir bisher noch nicht sehen können. Vielleicht wird die Krise aber einen neuen Sinn für das Gemeinwohl produzieren und vielleicht werden wir dann auch in der Lage sein, wenn es zu Engpässen kommt, mit auch unkonventionellen Maßnahmen darauf zu reagieren.

Quelle Text: Technische Universität München

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