03.02.2022 - München
Nicht jeder mag sie, aber jeder braucht sie: Normen. Doch wie entstehen sie und wer entscheidet, was in die Norm kommt? Dipl.-Ing.Univ. Markus Bernhard ist Inhaber eines Ingenieurbüros aus Augsburg, seit 30 Jahren aktives Kammermitglied und zählt als Mitglied im Holzbauausschuss des DIN zu denen, die "Normen machen". In unserem Interview haben wir Herrn Bernhard gefragt, wie das funktioniert.
Herr Bernhard, Sie sind in unterschiedlichen Normungsausschüssen des DIN aktiv. Wie kam es dazu?
Ich wurde von Kollegen gefragt, ob ich mitarbeiten will. Ich sitze nun seit rund fünf Jahren im Spiegelausschuss des DIN für die Holzbaunorm und leite dort auch einen Arbeitskreis. Formal korrekt heißt das Gremium "DIN NA 05-04-01 AA "Spiegelausschuss Holzbau" zur Spiegelung von CEN TC 250 SC 5 "Eurocodes für konstruktiven Ingenieurbau – Eurocode 5: Bemessung von Holzbauwerken" und CEN TC 124 "Holzbauwerke".
Was ist denn ein Spiegelausschuss?
Die Vertreter der einzelnen Mitgliedsstaaten des übergeordneten europäischen Gremiums CEN (Comité Européen de Normalisation) spiegeln die Arbeit des CEN in ihre nationalen Normenausschüsse. Diese nationalen Ausschüsse, die sog. Spiegelausschüsse, können eigene Vorschläge zur Norm beim CEN einreichen oder Vorschläge anderer Staaten kommentieren.
Normungsarbeit klingt sehr trocken und nach langen, zähen Prozessen?
Das ist tatsächlich so.
Man ringt teilweise um einzelne Sätze. Es ist aber trotzdem spannend, weil man
mitbekommt, wie Normen entstehen. Es ist ja nicht so, dass plötzlich jemand mit
zwei Tafeln vom Berg kommt wie einst Moses mit den zehn Geboten und dann ist
das auf ewig in Stein gemeißelt.
Normenarbeit ist ein dynamischer Prozess,
in
den praktische und wissenschaftliche
Erkenntnisse aller Länder einfließen.
Spätestens nach zehn Jahren werden die Normen aktualisiert, die technische Entwicklung schreitet ja voran.
Kann denn jeder in der Normenarbeit tätig werden?
Grundsätzlich ja. Entweder man wird von Kollegen vorgeschlagen oder meldet sich aktiv beim DIN. Gesucht wird im Grunde immer. Etwas paradox ist es, dass man dafür bezahlen muss, im DIN mitzuwirken. Jedoch sollte sich niemand von dieser Gebühr abschrecken lassen. Denn die Bundesingenieurkammer, aber auch der VBI und der VPI sind Mitglieder beim DIN und können im Gegenzug für diese Mitgliedsbeiträge Personen in die Ausschüsse entsenden. Diese Kosten trägt dann - nach vorheriger Rücksprache natürlich - die Bundesingenieurkammer oder der Verband. Individuell müssen die Reisekosten und Spesen geklärt werden.
Die
Tragwerksplaner sind im DIN bereits ganz gut vertreten.
Ich würde mir wünschen,
dass aus anderen Fachbereichen
wie der Bauphysik noch mehr Kollegen in die
Normenarbeit gehen.
Die Bayerische Ingenieurekammer-Bau und auch ich persönlich werden gerne vermittelnd tätig. Sprechen Sie uns an!
Wie kommt man von den deutschen in die europäischen Gremien?
Das DIN entsendet so genannte "german experts" in das CEN, wo länderübergreifend an den Eurocodes gearbeitet wird. Wer dort mitarbeitet, sollte sehr gutes Fachenglisch sprechen, denn in der Endabstimmung der Normen kommt es stark auf sprachliche Feinheiten an.
Interessant finde ich immer wieder, dass die Standpunkte, was in die Norm rein muss, von Land zu Land sehr variieren. Deutschland will am liebsten möglichst schlanke Normen mit vielen Ergänzungen, also wenig "P - Principle" und viel "I - Informative". Andere Länder dagegen wollen eine ganz dicke Norm, mit möglichst wenig "Informative".
Wie sind die Normenausschüsse denn zusammengesetzt?
Oft nach nationaler Relevanz des Fachbereiches. Deutschland ist klassisch im Holzbau stark vertreten, weil wir eine recht große Holzbautradition haben. An der Erdbebennorm arbeiten dagegen viele Kollegen aus Erdbebenregionen wie dem Balkan mit. Die Schneelastnorm hat der Kollege Wolfgang Schwind aus Mittenwald entscheidend auf den Weg gebracht.
Was ich für sehr ungut halte, ist, dass Hersteller und deren Interessensverbände überproportional an den Baustoffnormen mitwirken. Da wird ganz klar Lobbyarbeit betrieben. Die KMU sind dagegen chronisch unterrepräsentiert, was ich sehr bedaure. Ich glaube, hier scheut man die Kosten. Aber die kann ja, wie gesagt, ein Verband übernehmen.
Die Mitarbeit kostet aber nicht nur Geld, sondern auch Zeit?
Das stimmt schon. Aber ich sage immer: Die Norm, an der ich selbst mitgewirkt habe, muss ich hinterher nicht lernen. Auch die Hintergründe und Entstehungsprozesse sind spannend. Und man sollte den Netzwerkcharakter dieser Ausschüsse nicht unterschätzen. Das bringt wertvollere Kontakte als jedes LinkedIn-Profil.
Das Interview führte Sonja Amtmann, Pressereferentin der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau.
© Foto Markus Bernhard: IngPunkt Ingenieurgesellschaft für das Bauwesen mbH, eigene Bearbeitung
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