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Verluste und Schäden reduzieren: Katastrophen- und baulicher Bevölkerungsschutz

Artikel von Präsident Prof. Dr. Norbert Gebbeken in der Jahresbeilage der Bayerischen Staatszeitung vom 10.12.2021

10.12.2021 - München

Die aus ihrem Bachbett getretene Abens hat nach starkem Regen Ende August dieses Jahres die angrenzenden Felder überflutet. Foto: dpa/Peter Kneffel

Die aus ihrem Bachbett getretene Abens hat nach starkem Regen Ende August 2021 die angrenzenden Felder überflutet. Foto: dpa/Peter Kneffel

Prof. Dr. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, berichtet in der Jahresbeilage "Bauen in Bayern" der Bayerischen Staatszeitung, worauf es beim Katastophenschutz und beim baulichen Bevölkerungsschutz ankommt, um Verluste und Schäden durch den Klimawandel, Starkregenereignisse oder Hochwasser zu reduzieren.

Katastrophenschutz

Sendai-Rahmenwerk

Die dritte UN-Weltkonferenz zur Katastrophenvorsorge fand 2015 im japanischen Sendai statt. Dabei wurde das "Sendai-Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge 2030 (Sendai Framework for Disaster Risk Reduction 2030)" erarbeitet. Seine Ziele sind die Reduktion von Risiken, die Verhinderung von Katastrophen und die Stärkung der Resilienz der Bevölkerung gegenüber natürlichen und von Menschen verursachten Gefahren. Um diese Ziele zu erreichen, werden sieben Handlungsfelder identifiziert (Abb. 1).

Abb. 1: Sendai Framework for Disaster Risk Reduction 2030, 7 goals 
Abb. 1: Sendai Framework for Disaster Risk Reduction 2030, 7 goals

Über ihre Umsetzung sollen die beteiligten Staaten den UN regelmäßig berichten, damit die Zielerreichung global verfolgt werden kann. Es sollen bis 2030 deutlich verringert werden:

  • (A) die Sterblichkeit infolge von Katastrophen,
  • (B) die Anzahl der weltweit betroffenen Menschen,
  • (C) die wirtschaftlichen Verluste durch Katastrophen und
  • (D) die Schäden an kritischen Infrastrukturen und Störungen der Grundversorgung.

Steigen sollen

  • (E) die Anzahl der Länder mit nationalen und lokalen Strategien zur Verringerung des Katastrophenrisikos,
  • (F) die internationale Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, sowie
  • (G) die Verfügbarkeit und der Zugang zu Multi-Gefahren-Frühwarnsystemen sowie Informationen zur Bewertung von Katastrophenrisiken für die Bevölkerung.

Zur Umsetzung des Sendai-Rahmenwerkes wurde in Deutschland 2014 eine interministerielle Arbeitsgruppe zum Sendai-Prozess gebildet, bestehend aus: Auswärtiges Amt (AA), Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Deutsches Rotes Kreuz (DRK) und Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Das BBK koordiniert und berät fachlich die Umsetzung des Sendai-Rahmenwerkes in Deutschland und berichtet den UN.

Der Katastrophenschutz ist unmittelbar mit dem Klimaschutz gekoppelt, für den es ebenso eine UN-Vereinbarung gibt.

UN Nachhaltigkeitsziele 2030

2015 wurde auf dem Gipfel der UN von 139 Staaten die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Es wurden Handlungsfelder identifiziert, die gleichermaßen die Wirtschaftskraft stärken, soziale Ungerechtigkeiten reduzieren und die nachhaltige Entwicklung vorantreiben sollen. Es war die Absicht, die Ziele bis 2030 zu erreichen. Inzwischen wurde aber deutlich, dass eine Zielerreichung bis 2045 realistischer erscheint.

Es wurden 17 Ziele erarbeitet (Abb. 2). Sie ordnen sich den übergeordneten Bereichen Soziales, Umwelt und Wirtschaft unter. Ebenso wie beim Sendai-Abkommen erstatten alle Länder über die Erreichung der Ziele Bericht, um die Umsetzung zu überprüfen.

Abb. 2: UN, Globale Agenda 2030, Nachhaltigkeit, 17 Ziele (Quelle UN)    
Abb. 2: UN, Globale Agenda 2030, Nachhaltigkeit, 17 Ziele (Quelle UN)

Vergleicht man beide UN-Abkommen, so erkennt man hinsichtlich des Katastrophenschutzes Themen, die voneinander abhängen oder sich überschneiden.

Von den Zielen A-D des Sendai-Abkommens ist insbesondere D (Schäden an kritischen Infrastrukturen und Unterbrechung von Dienstleistungen) unmittelbar mit den folgenden Zielen des UN-Nachhaltigkeitsabkommens im Hinblick auf die Bauwirtschaft verbunden:

  • (6) Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen,
  • (7) Bezahlbare und saubere Energie,
  • (9) Industrie, Innovation und Infrastruktur, (11) Nachhaltige Städte und Gemeinden,
  • (13) Maßnahmen zum Klimaschutz und
  • (15) Leben an Land.

Das Sendai-Ziel D sollte nicht auf kritische Infrastrukturen beschränkt bleiben, sondern die gesamte gebaute Umwelt umfassen. Damit können Verluste und Schäden durch Klimaveränderungen und Wetterextreme reduziert und somit unmittelbar Menschenleben geschützt werden.

Hieraus erwächst für die Bauwirtschaft eine besondere gesellschaftliche Verantwortung.

Katastrophenmanagement und Resilienz

Abb.3 Katastrophenmanagement-Zyklus (Quelle BBK)  
Abb.3 Katastrophenmanagement-Zyklus (Quelle BBK)

Da es eine 100-pozentige Sicherheit vor Gefahren nicht gibt, benötigen wir einen Abwägungsprozess bezüglich Sicherheit, Risiko, Kosten und Akzeptanz. Diesbezügliche Diskussionen werden insbesondere im Katastrophenfall geführt oder kurz danach, solange es ein Bewusstsein dafür gibt. Wir müssen uns also in den Katastrophenmanagement-Zyklus (Abb. 3) einordnen, um die optimalen Lösungen zu erarbeiten.

Wichtige Weichenstellungen sind nur in der Phase der Krisenbewältigung möglich, solange ein öffentlicher bzw. medialer Druck vorhanden ist. Die Phasen der Nachbereitung, der Vorsorge und der Vorbereitung finden als Katastrophenprävention meist „im Verborgenen“ statt.

Die Prävention interessiert Medien, Politik und Gesellschaft leider wenig. Während der Sturzfluten 2021 waren wesentliche Akteure erstaunt, dass es die Risikostudien des BBK (Schmelzhochwasser 2012, Pandemie durch Virus Modi-SARS 2012, Wintersturm 2013, Sturmflut 2014, Freisetzung radioaktiver Stoffe aus einem Kernkraftwerk 2015, Freisetzung chemischer Stoffe 2017, Dürre 2018 und Erdbeben in der Niederrheinischen Bucht 2019 sowie die BBK-Studie des Forschungszentrums RISK „Die unterschätzten Risiken Starkregen und Sturzfluten“ 2015) gibt.

Die Prävention ist ein äußerst undankbares Geschäft. Warnt man, dann ist man ein Panikmacher und Verunsicherer, Tritt die Katastrophe ein, dann wird man gescholten, nicht hinreichend deutlich gewarnt zu haben.

Doch nun zurück zum Thema Resilienz.

Im Hinblick auf das erweiterte Sendai-Ziel D (Damage to (critical) infrastructure and services disruption) wird eine Resilienzanalyse (Abb. 4) erforderlich, die jeweils für die verschiedenen Infrastrukturen nötig ist. Bei den vergangenen Sturzfluten fielen alle kritischen Infrastrukturen aus, die lebensnotwendig sind. Das kostet Menschenleben. Deshalb sind für kritische Infrastrukturen deutlich strengere Maßstäbe anzulegen, als an andere Infrastrukturen.

Abb. 4: Resilienzanalyse 
Abb. 4: Resilienzanalyse

Die Grafik zur Resilienzanalyse ordnet sich in den Katastrophenmanagement-Zyklus (Abb. 3) ein. Die Treppen nach dem Ereignis verdeutlichen Kaskadeneffekte. Aufgabe ist es nun, den Leistungsverlust (Tiefe des Tales) und die Zeit der Krise (Weite des Tales) im Fall einer Katastrophe so klein wie möglich zu halten. Je kleiner die Fläche über der roten Kurve und unterhalb der gestrichelten Geraden (Krise) wird, desto resilienter sind z.B. kritische Infrastrukturen. Zur Bestimmung der Parameter kann z.B. eine Risikoanalyse dienen.

Baulicher Bevölkerungsschutz

In Deutschland sind gemäß MunichRe und DWD die größten Naturgefahren Extremwetterereignisse: Hochwasser (Sturmfluten, Sturzfluten, Flächenhochwasser), Stürme (Starkstürme, Tornados) und Hagel. Hierfür müssen wir beim Bauen Antworten finden. Stürme und Hagel können überall in Deutschland auftreten. Zum baulichen Schutz davor gibt es hinreichend technische Lösungen.

Doch wie reagieren wir baulich auf Tornados, die in letzten Jahren verstärkt auftreten, bis hin zur Stärke F4? Sie sind lokal sehr begrenzt aber extrem zerstörerisch. Technische Lösungen haben wir, weil sie beim baulichen Explosionsschutz bereits eingesetzt werden. Doch sie sind sehr teuer und übersteigen die tatsächlich entstandenen Sachschäden um ein Vielfaches, wenn wir sie flächendeckend einsetzen würden. Derzeit wird bauordnungsrechtlich nichts hinsichtlich des Schutzes vor Tornados vorgeschrieben. Deswegen kann man nur eine Elementarschadenversicherung empfehlen.

Die ist auch bei Hochwassergefahr ratsam. Für Gefährdungsgebiete hinsichtlich Sturmfluten und Inlandshochwasser existieren recht gute Gefährdungskarten, sodass sich jeder und jede darüber informieren kann, ob eine Hochwassergefahr für sich besteht. Ähnlich zuverlässige Karten gibt es für Sturzfluten nicht. Es ist derzeit auch nur schwer zu prognostizieren, welchen Einfluss der Klimawandel auf die Häufigkeit und Intensität von Niederschlägen hat.

Beim baulichen Bevölkerungsschutz gehen wir von drei Prinzipien aus: Ausweichen, Widerstehen und Anpassen. Am besten weichen wir der Gefahr aus, indem wir nicht in gefährdeten Gebieten siedeln. Ist das nicht möglich, dann müssen wir so widerstandsfähig bauen, dass Menschen und Sachen geschützt sind (z.B. Prinzip der Warften). Bei Bestandsgebäuden helfen Anpassungen wie z.B. Nutzungsänderungen, Abmauern von Kellerschächten, Einbau von Rückstauklappen etc.

Noch wichtiger ist es jedoch, die Katastrophe zu verhindern. Das erfolgt mit Hilfe des Drei-Säulen-Prinzips der Hochwasservorsorge: Wasserrückhalt in der Fläche, Hochwasservorsorge und technischer Hochwasserschutz. Beim Wasserrückhalt in der Fläche geht es um die hochwassersensible Bewirtschaftung von natürlichen, Kultur- und landwirtschaftlichen Flächen, Flussauen und urbanen Flächen (Stichwort Schwammstadt). Bei der Hochwasservorsorge geht es um die Bereiche Risiko, Flächen, Bau und Verhalten.

Die jüngsten Hochwasser und Sturzfluten haben verdeutlicht, dass Betroffene und Entscheider überfordert waren. Wir können auch dadurch resilienter werden, dass wir das Bewusstsein schärfen und informieren. Der technische Hochwasserschutz kümmert sich z.B. um den Gewässerausbau, die Renaturierung, den Bau von Talsperren, Deichen, Mauern und Regenwasserrückhaltebecken. Technisch können wir beim baulichen Bevölkerungsschutz sehr viel tun. Doch die baulichen Lösungen müssen angemessen und angepasst sein.

Die Bayerische Ingenieurekammer-Bau bietet seit vielen Jahren Seminare zum Katastrophenschutz bei Naturgefahren an. Im Verbund mit verschiedenen Partnern hat sie sich zum Bündnis „Hochwassersensibles Bauen“ zusammengeschlossen, um zu informieren, Hilfsmittel wie Broschüren zu erarbeiten und zu beraten.

Autor: Prof. Dr. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, veröffentlicht in der Jahresbeilage "Bauen in Bayern" der Bayerischen Staatszeitung vom 10.12.2021

Download

Verluste und Schäden reduzieren - Prof. Dr. Norbert Gebbeken

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatszeitung


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