27.08.2021 - München
Mehr Grün in der Stadt sorgt für Abkühlung. Baubotanikerinnen und Baubotaniker an der Technischen Universität München (TUM) wollen mit Bäumen die gebaute Umwelt auf neue Art funktionell ergänzen. Sie setzen Bäume als Stützen eines Pavillons, eines Balkons oder zur Klimatisierung an Hausfassaden ein. Im Interview erklärt Prof. Dr. Ferdinand Ludwig, wie mit Hilfe digitaler Werkzeuge Wachstumsprozesse von Pflanzen mit architektonischen Bauplänen verwoben werden können.
Sie arbeiten als Architekt mit lebenden Werkstoffen. Wie läuft die Zusammenarbeit mit Bäumen als Co-Architekten?
Wir entwerfen und bauen mit lebendigen Bäumen. Weil der Werkstoff mitwächst,
ist das Bauen und auch das Planen bei uns nie abgeschlossen. Wir spielen
Ping-Pong mit dem Baum. Wir machen einen Aufschlag, er schlägt zurück und dann
müssen wir schauen, ob das mit unserem Plan übereinstimmt. Und wenn nicht haben
wir zwei Möglichkeiten: Entweder wir manipulieren das Wachstum, zum Beispiel
durch Schneiden, oder wir ändern unseren Plan.
Wie lässt sich lebendige Architektur überhaupt planen?
Wir erstellen in regelmäßigen Abständen 3D-Scans der Baumbestände. Diese helfen uns, die gewachsenen Strukturen zu verstehen. Doch für einen Bauplan reicht das noch nicht. Worauf es uns ankommt sind die Knotenpunkte und Verbindungslinien der gewachsenen Strukturen. Diese können wir durch computergestützte Abstraktion ermitteln. Mit dem Ergebnis sind statische Berechnungen und Simulationen des Stofftransports im Baum möglich, die wiederum darauf schließen lassen, wie sich das Dickenwachstum der Äste entwickeln könnte.
Gibt es Beispiele für ein architektonisches Konzept, das auf diese Weise entstanden ist?
Wir haben den Prozess anhand eines Pavillons, der als Sommerküche genutzt werden soll, gezeigt. Dazu haben wir erst einmal ein geometrisches Aufmaß von den Bäumen vor Ort erstellt. Die Bäume sollten die Stützen einer Dachkonstruktion werden, die die Sommerküche vor Wind und Wetter schützt. Es war klar: Technische Teile sind für das Vorhaben nötig. Diese wollten wir aber möglichst minimal halten.
Nachdem die Bäume mit ihren Verästelungen exakt vermessen waren, konnten wir die Geometrie des Daches direkt aus den digitalisierten und abstrahierten 3D-Daten ableiten: Jede Kurve des Daches folgt der Form der Äste, die es tragen. Damit erzielen wir eine optimal an das Wachstum der Bäume angepasste Geometrie.
Das Dach haben wir komplett am Computer geplant und vorgefertigt. Die Bäume
wurden vor der Installation beschnitten und der Pavillon innerhalb von zwei
Tagen errichtet. Spannend war dann der Moment, als der Kran die drei Teile des
Dachs langsam abgesenkt hat und sich das Dach mit den Bäumen zusammenfügte.
Nach der Installation leben die Bäume weiter. Wie können Sie die
geschaffene Funktion erhalten?
Auch das ist Teil unseres Konzepts. Dazu sind unsere digitalen Werkzeuge
essenziell, weil wir damit die künftige Entwicklung der Objekte steuern. Das
Wissen um die Wachstumsprozesse spielt dabei ebenfalls eine große Rolle. Ein
Beispiel: Äste und Zweige haben ein Längen- und ein Dickenwachstum. Nur der
junge, einjährige Trieb wächst in die Länge. Die anderen Zweige und Äste
wachsen nur noch in der Dicke, sodass sich die Grundgeometrie im Laufe der Zeit
nicht verändert.
Aber natürlich ist eine kontinuierliche Pflege notwendig. Wenn
ich viel pflege und schneide, bleiben die Bäume dünner. Wenn ich die Bäume zu
wild wachsen lasse, wird das Ganze heterogener, die Bäume werden dicker, aber
es sterben auch mehr Bäume ab. Es sind also verschiedene Zukunftsszenarien
denkbar.
Welchen Plan verfolgen Sie bei Ihrem jüngsten Projekt, der baubotanischen Sommerküche, die nun ein Dachgestell erhalten hat?
Bei diesem Pavillon sollen die neuen Austriebe wieder in die Struktur eingeflochten werden und aus dem Dachfirst oben herauswachsen. Es wird also mit dem zusätzlichen Wachstum auch weiterhin geplant und gearbeitet. Darum kann auch das Dach jetzt nicht schon komplett eingedeckt werden. Dazu wäre die lebende Tragstruktur momentan noch zu schwach.
Wenn der Zustand erreicht ist, bei dem wir das Dach vollständig eindecken können – das wird in einigen Jahren der Fall sein – geht es darum, die Funktion des Daches zu erhalten. Das unterscheidet sich fundamental von dem klassischen Bau- und Architekturverständnis. Wir setzen uns zwar auch ein Ziel, das wir erreichen wollen, etwa wie hier ein Pavillondach, aber bei uns gibt es nicht den Punkt, an dem wir als Entwerfer nach Hause gehen können. Vielmehr ist eine gestalterische Weiterentwicklung von vornherein vorgesehen.
Quelle: TU München, Fotos: Ferdinand
Ludwig / TUM,Andreas
Heddergott / TUM, Ferdinand
Ludwig / TUM, Denise
Gordeev, Ke Sun
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