16.08.2021 - München
Im Foto von links: Dr.-Ing. Markus Staller (VPI Bayern), Wolfgang Schubert-Raab (Bayerisches Baugewerbe) und Dr.-Ing. André Müller (VBI Bayern)
Ist der deutsche Prüfingenieur in einer agilen Bauwelt noch zeitgemäß? Vertreter von Bauingenieuren und Bauwirtschaft trafen sich in der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau zu einem Meinungsaustausch. An dem Gespräch nahmen Wolfgang Schubert-Raab, Präsident des Landesverbands Bayerischer Bauinnungen, Dr.-Ing. Markus Staller, Vorsitzender der Vereinigung der Prüfingenieure für Baustatik in Bayern e. V. (VPI) und Dr.-Ing. André Müller, Landesvorsitzender des VBI Bayern teil.
Wie nach einer Explosion sah das zwölfstöckige Hochhaus in Surfside, nördlich von Miami Beach aus: Die Fassade aufgerissen, Betontrümmer über den Parkplatz verstreut. Am 24. Juni stürzten in Florida die Champlain Towers mit mehr als 130 Wohnungen teilweise ein, mehrere Menschen kamen ums Leben, einige werden noch vermisst. Und auch der Genueser Brückenkollaps von 2018 mit 43 Toten bleibt unvergessen. Kann so etwas auch in der Bundesrepublik passieren? Eher nicht. Hier herrscht schließlich das Vier-Augen-Prinzip. Prüfingenieure begutachten die statische Berechnung ihrer planenden Kollegen und überwachen die Ausführung auf der Baustelle.
Trotzdem ist die Institution Prüfwesen nicht unumstritten. Aus der Bauwirtschaft sind vermehrt Stimmen zu hören, bürokratische Überprüfungen auf das Notwendige zu beschränken. Wolfgang Schubert-Raab, Präsident des Landesverbands Bayerischer Bauinnungen und des Verbands baugewerblicher Unternehmer Bayerns e.V., traf sich daher mit Vertretern der Ingenieurverbände in Bayern – Dr.-Ing. Markus Staller, Vorsitzender der Vereinigung der Prüfingenieure für Baustatik in Bayern e. V. (VPI) sowie Dr.-Ing. André Müller, Landesvorsitzender des VBI Landesverband Bayern – zu einem offenen Meinungsaustausch.
Im Zentrum stand die Frage, wie das Prüfingenieurswesen reibungslos in den Planungs- und Bauablauf eingebunden werden kann und auf der Basis hoher Kompetenz in einer zunehmen agilen Bauwelt pragmatische und sichere Lösungen vor Ort zu finden.
Wolfgang Schubert-Raab stellte zwar nicht den Prüfingenieur insgesamt auf den Prüfstand, merkte aber an, dass das Bauen außerhalb Deutschlands oft preiswerter und schneller ablaufe – ohne zusätzliche Kontrolle. Das sah Dr.-Ing. Markus Staller natürlich anders: Für das erprobte Prüfwesen die Institution Prüfingenieur werde Deutschland weltweit beneidet. Sie sei sogar ein Exportschlager. Es gehe gar nicht um Kosten versus Pragmatismus oder Wirtschaftlichkeit, vermittelte Dr.-Ing. André Müller, es gehe ausschließlich um Qualität. Da wollte dem gebürtigen Schweizer niemand widersprechen, im Gegenteil: Verlässlichkeit durch alle Gewerke hindurch verbinde alle am Bau Beteiligten.
Wie also steht es mit der Institution Prüfingenieur? Ist sie nun Zeichen deutscher Gründlichkeit – oder Ausdruck der berüchtigten „German Angst“? Weder noch – oder beides zugleich. Denn im Grunde – so wurde im Laufe der Diskussion deutlich – geht es um eine faire Zusammenarbeit.
Dreh- und Angelpunkt war die Frage, wann genau Prüfingenieure eingeschaltet werden sollten. Im Augenblick wohl meist zu spät, da waren sich die drei Diskutanten schnell einig. Prüfleistungen müssten fest eingeplant und terminiert werden.
Wie könne es sein, dass in Projektterminpläne für verschiedenste Gewerke Termine – und sind sie noch so klein – eingetragen seien, nicht aber Termine für die Arbeit der Prüfer, sinnierte Wolfgang Schubert-Raab. Zeitnot führe oft zu Stress und manchmal eben auch zu Fingerzeigen Richtung Prüfer. Sie künftig bereits in den frühen Planungsphasen einzubinden, darin waren sich alle einig. Wenn Zeit also der entscheidende Faktor auf deutschen Baustellen sei, müssten Termine eben für alle frühzeitig eingeplant werden – einschließlich der Prüfingenieure.
Überhaupt zeigte sich die Runde offen für „vertrauensbildende Maßnahmen“ auf Basis eines runden Tisches: Alle Baubeteiligten sollten sich auf Augenhöhe treffen. Unternehmer Wolfgang Schubert-Raab lobte daher die kollegiale Atmosphäre dieses Treffens. Es müsse Verständnis für die je andere Seite wachsen – durch regelmäßige gemeinsame Veranstaltungen, Treffen oder sogar unkonventionelle Aktionen wie etwa einem gemeinsamen „Wandertag“ mit Vertretern aller Seiten.
Wolfgang Schubert-Raab
(Bayerisches Baugewerbe)
Dr.-Ing. André Müller
(VBI Bayern
Dr.-Ing. Markus Staller
(VPI Bayern)
Prüfer und Aufsteller säßen
schließlich zusammen mit der ausführenden Firma beim Bauherren in einem Boot,
gleich, ob es sich um einen privaten Bauherren handele oder um die öffentliche
Hand, deren Vergabepraxis trotz aller Kritik im Einzelfall eine gute Basis zur
Zusammenarbeit böte.
Alle verbinde doch das Bauen, betonte Dr.-Ing. André Müller. Vor Ort entstünden immer Unikate, es gehe um Sicherheit, nicht ums Rechthaben. „Wir wollen gemeinsam bauen“, so Müller.
Wie aber lässt sich die ungleiche Verteilung der Prüfingenieure über Bayern angehen? Von den rund 75 bayerischen Prüfingenieuren arbeitet die Mehrzahl in München. Während also Oberbayern gut versorgt sei, zeigten sich gerade in Franken Lücken im Netz, merkte Wolfgang Schubert-Raab an. Sollten Prüfingenieure wie Notare gleichbleibend über den Flächenstaat verteilt werden?
Eine Antwort gab Dr.-Ing. Markus Staller, der anregte, bei den planenden Ingenieuren anzusetzen, die bevorzugt aus der Region des Bauherren stammen sollten. Statt beispielsweise Stuttgarter Ingenieure in Bamberg einzusetzen, könnten fränkische Kollegen als Türöffner bevorzugt Prüfingenieure aus der Region hinzuziehen.
Trotz unterschiedlicher Standpunkte im Detail waren sich alle einig: Dieses Treffen sollte mehr Zusammenarbeit am Bau befördern, mehr Miteinander. Konkret: Prüfingenieure sollen viel früher eingebunden werden, meinte Wolfgang Schubert-Raab: „Wir sollten fortan die Prüfung eines Bauwerks in den Bauzeitenplan aufnehmen, wenn wir schon so viele Themen wie Erdung und Entwässerung als wichtig erachten. Es wäre schade, wenn dieser wesentliche Punkt nicht aufgegriffen wird.“
Dem konnten sich die Ingenieure nur anschließen. „Es ist wichtig, dass wir miteinander sprechen“, sagte Dr.-Ing. André Müller, „und mehr auf die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Beteiligten eingehen.“ Die gemeinsame Verständigung griff auch Dr.-Ing. Markus Staller in seinem Schlusswort auf: „Ich habe heute gelernt, dass wir mehr Verständnis füreinander entwickeln müssen.“ Nun kann sich ein Dialog entwickeln. Der Grundstein wurde mit diesem Treffen gelegt.
Autor: Dr. Oliver Herwig, Titelfoto: Bayerische Ingenieurekammer-Bau, Foto Hochhaus Surfside: TheEpicGhosty / English Wikipedia, Videos: Julia Gleiss / LBB
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