30.03.2021 - Tutzing / München
Zu teuer, zu langsam, selten innovativ: Auf dem deutschen Bauwesen lasten viele Vorurteile und Herausforderungen. Wie wirken sich die Normen des Rechtsstaats und Bürgerbeteiligung auf Bauprojekte aus? Was erwartet die Branche in der Zukunft und warum sollten mediative Ansätze stärker in den Fokus gestellt werden? Darum ging es bei der gemeinsamen Tagung der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und der Akademie für Politische Bildung im März 2021.
"Wir müssen differenzieren zwischen den Projekten, die immer durch die Gazette gezogen werden und den Projekten, über die überhaupt nicht gesprochen wird", beklagt Wolfgang Schubert-Raab, Präsident der Bayerischen Baugewerbeverbände. In der Öffentlichkeit wird das deutsche Bauwesen häufig kritisiert, und die Bauvorhaben als überholt, zu teuer und zu langwierig betrachtet. Braucht die Baubranche eine Reform? Vor welchen Problemen steht sie?
In der Online-Tagung "Bauen in der Warteschleife" der Akademie für Politischen Bildung und der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau haben sich Expertinnen und Experten aus dem Bauwesen diesen Fragen gewidmet. Die Diskussionsrunde zum Thema „Zwischen Normenflut und maroden Infrastrukturen: Bauen als Politikum“ wurde von Sabine Reeh vom Bayerischen Rundfunk moderiert.
"Deutschland hat die besten Ingenieure der Welt", betont Gunther Adler, Geschäftsführer Personal der Autobahn GmbH des Bundes und fügt hinzu, dass viele Bauprojekte sowohl im Zeit- als auch im Kostenrahmen liegen. Adler widerspricht somit der öffentlichen Wahrnehmung, dass in Deutschland viele Großprojekte schiefgehen. Er ist der Meinung, dass dies mit der meist negativen Kommunikation über die Baubranche.
Misserfolge - wie etwa der sowohl verzögerte und um Millionen teurerer Bau der Elbphilharmonie - seien für die Öffentlichkeit eben deutlich interessanter als Erfolge. Zudem werde die die Baubranche von der Politik zu Beginn eines Bauvorhabens meistens dazu gedrängt, einen belastbaren Kostenbetrag für das Bauprojekt zu nennen. Dabei wird jedoch nur selten berücksichtigt, dass sich während des Bauens sowohl Preise als auch Normen ändern.
Dem stimmt die
grüne Landtagsabgeordnete Ursula Sowa zu und ergänzt, dass sich gegen "die
verfluchte erste Zahl" ein Zuschlag von 30 Prozent auf die
Kosteneinschätzung bewährt hat. Ihrer Ansicht nach sei es besonders
wichtig, sich vor Augen zu halten, dass es sich beim Bauen um einen Prozess
handelt.
"Es ist ein Prozess und eine Idee erst mal. Und eine Idee gleich in Euro eins zu eins umzusetzen, ist eigentlich unmöglich", sagt Sowa. Besonders da öffentlichen Bauvorhaben, wie die Elbphilaharmonie, meistens keine Standardware, sondern neue Bereiche abdecken.
Ursula Sowa beklagt zudem die fehlende Kommunikation zwischen Politik, Bürgern, Ingenieuren und Architekten und fordert einen stärkeren Austausch. "Mehr miteinander anstatt gegeneinander", wünscht sich auch Wolfgang Schubert-Raab. Seiner Erfahrung nach wäre die Produktivität vieler Baustellen höher, wenn die Planung zu Beginn bereits abgeschlossen und Aufgaben und Kompetenzen klar verteilt wären. Zudem bemängelt er, dass "im Bauwesen zu wenig Weiblichkeit in der ganzen Art und Weise miteinander zu kommunizieren und zu agieren" vorliege. Frauen denken eher um die Ecke und kommen so zu Lösungen, mit denen jeder einverstanden ist, glaubt der Bauunternehmer.
Ingenieur Martin Fischnaller kritisiert, dass die Arbeitsmodelle in der Baubranche eher starr sind und das Berufsfeld von Männern dominiert ist. Er schlägt vor, die Vereinbarkeit von Freizeit, Familie und Beruf in der Branche zu diskutieren.
Die wohl größte Herausforderung im Bauwesen ist jedoch der Klimaschutz. Franziska Maier von der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau hält es für notwendig, sich über Wege zu einer nachhaltigen Zukunft auszutauschen. Dabei muss der Bausektor sowohl über nachhaltige Baumaterialien und recycelbare Rohstoffe als auch über die Nutzung der vorhandenen Substanzen sprechen. Momentan werden nur ein bis anderthalb Prozent der Gebäude im Jahr saniert. Um die Klimaziele zu erreichen, ist es laut Sowa allerdings wichtig, anhand eines Stufenplans mehr in Sanierungen zu investieren.
Ob wir weiterhin bauen wollen wie bisher, ist für Martin Fischnaller die entscheidende Frage. Gerade in den Ballungszentren wird derzeit auf Kosten von freien Flächen so viel wie möglich gebaut. Seiner Meinung nach muss überlegt werden, ob der Mehrwert eines Bauwerks tatsächlich so viel größer ist als der des Außenraums.
Sein Wunsch ist es, dass deutlich mehr Platz im Außenraum geschaffen wird, zum Beispiel Treffpunkte in Höfen, und sich eine Mischnutzung von Gebäuden durchsetzt. Zudem sei es wichtig, bei Bauwerken ein Kreislaufsystem zu schaffen, dazu zählt unter anderem recyclebare Materialien zu verwenden.
"Bauen ist aber nicht nur die Phase auf der Baustelle, sondern auch alles, was davor kommt" erläutert Josef Zimmermann, Professor an der TU München. Dazu zählen Planungs-, Genehmigungs-, und Bürgerbeteiligungsprozesse. Während die Bürgerinnen und Bürger nach dem Zweiten Weltkrieg kaum Zeit hatten, sich zu beteiligen, ist dieser Aspekt in den vergangenen Jahren wieder wichtig geworden. Gleichzeitig ist das Vertrauen der Bürger in die Politik und das Bauwesen gesunken, vor allem durch misslungene Großprojekte wie Stuttgart 21. Zimmermann plädiert dafür, die Bevölkerung rechtzeitig einzubeziehen.
Arne Lorz, Hauptabteilungsleiter des Referats für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München, ergänzt, dass dafür eine gewisse Professionalisierung nötig sei: "Eine gezielte, professionelle Kommunikation führt dazu, dass es viel mehr Menschen gibt, die auch Verständnis dafür haben, was wir tun und was wir tun müssen." Für einen erfolgreichen Austausch entscheidend sind ein klares Ziel, die Bereitschaft zum Dialog sowie Rahmenbedingungen, die geachtet werden. Die Bürgerbeteiligung legt die Grundlagen, um im weitern Verfahren konstruktiv miteinander umzugehen. "Je mehr man im Vorfeld investiert, desto mehr spart man sich lang anhaltende Diskussionen", ist Lorz überzeugt.
Denn
Gerichtsprozesse enden oft nicht zufriedenstellend, bergen erhebliche
Mehrkosten und behindern das Tagesgeschäft, sagt Ralph Bartsch von der Hochschule Karlsruhe - Technik
und Wirtschaft. Er empfiehlt, das Konfliktmanagement im Unternehmen zu
implementieren und setzt sich für die Methoden der Wirtschaftsmediation
ein. Diese können in einem Projekt angewendet werden, ohne Dritte
hinzuzuziehen.
Dabei wird versucht, die Parteien im Konflikt wieder so zusammenzubringen, dass sie gemeinsam an einer verbindlichen Lösung arbeiten, die für beide sinnvoll ist. Viele Konflikte in der Baubranche sind vermeidbar, daher sei es wichtig zu lernen, "diese effizient und zeitnah zu lösen".
"Die Justiz ist nicht darauf vorbereitet, Bauprozesse zu lösen", ergänzt Claus-Jürgen Diederichs, Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Außergerichtliche Streitbeilegung in der Bau- und Immobilienwirtschaft e. V. Viele Richterinnen und Richter sind nicht auf Bauthemen spezialisiert und dürfen in ihren Urteilen nur auf das zurückgreifen, was ihnen vorgetragen wird. Verständnisfragen können nicht gestellt werden, da diese als Ausforschung ausgelegt und in einem Befangenheitsantrag münden könnten.
Diederichs setzt sich deshalb für außergerichtliche Streitbeilegung wie Alternative-Dispute-Resolution-Verfahren (ADR-Verfahren) ein. Die ADR-Verfahren haben als Ziel, außergerichtlich mit Hilfe eines Schlichters einen Konsens oder eine Verhandlungslösung zu finden. Dadurch sinken Verfahrensdauer und Verfahrenskosten. Zudem bleibt die Geschäftsbeziehung zwischen den Konfliktparteien aufrechterhalten. Es sei daher wünschenswert, mediative Ansätze und Konfliktmanagement stärker zu vermittelt und auch in die Lernpläne relevanter Studiengänge und Berufsausbildungen aufzunehmen.
Auch in den anwaltlichen Berufsregelungen sind mediative Ansätze zu wenig vertreten, bedauert Hendrik Hunold, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Er appelliert an seine Juristen-Kolleginnen und -Kollegen, den Dialog zu fördern. Hunold sieht in den "anwaltlichen Abwehrreflexen" wie beispielsweise der Aufforderung, "erstmal alles nachzuweisen", bereits eine Bremse im System. Diese führe häufig zu harten Fronten und Konflikten. Anwälte können demnach einen erheblichen Beitrag dazu leisten, wie Bauvorhaben verlaufen und müssen ihre Handlungen kritisch hinterfragen.
Wolfgang Schubert-Raab von den Bayerischen Baugewerbeverbänden fordert außerdem einen anderen Umgang mit rechtlichen Normen für Bauprojekte. Normen seien zwar wichtig, da man sich auf sie verlassen könne, jedoch müssten sie "handhabbar gemacht werden". Viele Normen widersprächen sich untereinander und "dann wird eine Norm zum Unsinn."
Lin Sebastian Kayser, CEO der Hyperganic Technologies AG, sieht in den vielen Vorschriften ein Hindernis und plädiert dafür, künftig mehr Verantwortung in die Menschen und weniger in die Normen zu legen.
Gunther Adler hält es für sinnvoll, sich gesellschaftlich mit der schwierigen Frage nach der Sinnhaftigkeit der derzeit praktizierten Normen zu beschäftigen. In Deutschland sei der Standard auf einem so hohen Niveau, dass er möglicherweise nicht mehr sinnvoll ist. Beispielsweise entspricht nur zehn Prozent des Berliner Wohnungsbestandes den derzeit gültigen Brandschutzvorschriften für Neubauten. "Trotzdem lesen wir nicht täglich von massenhaften Bränden", sagt Adler.
Die
Komplexität von Bauwerken und Fachdisziplinen, die an einem Projekt arbeiten,
nimmt stetig zu. Da Probleme bei Bauprojekten im Team gelöst werden müssen,
steigt der Koordinierungsaufwand. Viel Arbeitszeit fließt mittlerweile
in Abstimmungen von Details, aber auch in dadurch entstandene Fehler und
Streitigkeiten.
Hilfreich wäre ein Tool, das diese Probleme lösen kann. Beispielsweise könnte künftig eine künstliche Intelligenz bei Bauwerken mit einem komplizierten Anschluss selbst überprüfen, ob alles noch funktioniert. Michael Gisdol von den Digital Builders Munich glaubt, dass im Bauwesen die strukturierte Sammlung von Informationen sowie deren Auswertung an Bedeutung gewinnen wird.
Quelle: Akademie für Politische Bildung, Autorin: Sara Ritterbach Ciuró; Titelfoto: © Andreas Hermsdorf / Pixelio.de, alle weiteren Fotos: Sara Ritterbach Ciuró
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