14.06.2018 - München
Am 14. Juni jährte sich der Brand des Grenfell Towers in London, bei dem vor einem Jahr 71 Menschen starben, zum ersten Mal. Am 6. Juni brannte in London das Mandarin Oriental Hotel ab. Dipl.-Ing. (FH) Thomas Herbert, Vorsitzender des Ausschusses Baurecht und Sachverständigenwesen der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und Prüfsachverständiger für Brandschutz, sowie Dr. Andreas Ebert, Justiziar der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, informieren über technische und rechtliche Aspekte des Brandschutzes.
Informationen
von Dipl.-Ing. (FH) Thomas Herbert
Vorsitzender des Ausschusses Baurecht und
Sachverständigenwesen der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und Prüfsachverständiger
für Brandschutz
Vor einem Jahr gab es einen großen Hochhausbrand in London, bei dem 71 Personen starben. Was wissen wir über den Brand des Grenfell Towers?
Sachverständige
ermitteln zurzeit die Ursachen für den Brand des Grenfell Towers. Die
Ergebnisse sind noch nicht öffentlich. Derzeit läuft das Grenfell-Inquiry. Dies
ist ein öffentliches Anhörungsverfahren, in dem sich jeder, der ein
berechtigtes Interesses nachweisen kann, zu Wort melden kann.
Bislang nehmen daran über 500 Einzelpersonen und etwa 30 Organisationen teil. Bei den Einzelpersonen sind es Hinterbliebene und deren Vertreter, Zeugen und anderweitig Betroffene und bei den Organisationen sind es beispielsweise die Feuerwehr, die Polizei oder der zuständige Wasserversorger für die Bereitstellung des Löschwassers.
Die Anhörung ist öffentlich. Sämtliche Ergebnisse und Anhörungen werden im Internet veröffentlicht. Mehrere 100.000 Seiten Papier und viele Stunden Videomaterial können eingesehen werden. Mittlerweile gibt es Veröffentlichungen zur Bestandsanalyse des Gebäudes, zur Chronologie des Brandablaufes und zum Verhalten der Menschen im Gebäude in der Brandnacht. Für den 18. Juni 2018 sind erste Stellungnahmen von Sachverständigen angekündigt. Mit einem Abschluss des Verfahrens ist nach derzeitiger Einschätzung ist 2020 zu rechnen.
Wie sollen sich Personen im Brandfall verhalten?
In Deutschland gilt: Ruhe bewahren, Feuerwehr verständigen, sich in Sicherheit bringen. Der „british standard“ lautet „stay put“, sinngemäß: bleib, wo du bist. Die britische Bevölkerung hat das Prinzip „stay put“ verinnerlicht, das lernen Kinder von klein auf wie Verkehrsregeln. Die Brandschutzkonzepte, die für Gebäude entwickelt werden, sollten berücksichtigen, wie sich von einem Brand betroffene Personen wahrscheinlich verhalten werden. Daher können die Brandschutzkonzepte je Land unterschiedlich und bezogen auf ihr jeweiliges Land aber dennoch richtig sein.
Was ist eigentlich die Aufgabe des Brandschutzes?
Brandschutz kann Brände nicht verhindern. Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Die Schutzziele sind es, die Ausbreitung eines Brandes zu verhindern oder zu verlangsamen, Mensch und Tier vor Rauch und Feuer zu schützen und ihre Rettung sowie wirksame Löscharbeiten zu ermöglichen.
Hat der Brandschutz im Falle des Mandarin Oriental Hotels in London funktioniert?
Ja, denn die Rauchentwicklung wurde eingedämmt, es wurde wirksam gelöscht und die Menschen, die sich im Hotel aufhielten, konnten gerettet werden. Das Brandschutzkonzept hat also gegriffen.
Die Fassade des Hotels war bepflanzt. Hat dies dazu geführt, dass der Brand sich ausgebreitet hat?
Das kann man nur mit Kenntnis aller Details zuverlässig bewerten. Grundsätzlich unterscheidet man brennbare und nicht brennbare Baustoffe. Beide Baustofftypen dürfen verwendet werden. Das Brandschutzkonzept muss darauf abgestimmt sein, welche Baustoffe verwendet werden. Eine Brandweiterleitung, also das Übergreifen des Feuers von einer Etage auf die nächste, ist prinzipiell möglich. Durch bestimmte technische Maßnahmen kann die Wahrscheinlichkeit und Schnelligkeit der Brandweiterleitung eingedämmt werden.
Pflanzen sind brennbare Baustoffe. Wie stark die Pflanzen an der Fassade brennen, hängt einerseits von der Art der Pflanze ab und andererseits davon, wie trocken oder feucht sie ist. Christbaumbrände am 24.12. sind beispielsweise selten, weil der Baum da noch frisch und verhältnismäßig feucht ist. Am 6.1. ist der Baum deutlich trockener und das Brandrisiko steigt. Der Baum ist aber immer der gleiche.
Bei Holz ist lediglich Eiche schwer entflammbar, weshalb Eiche gerne für Parkettböden verwendet wird. Alle anderen Holztypen brennen deutlich leichter.
Darf man denn einfach eine Fassade bepflanzen?
Man unterscheidet die vertikale Fassadenbegrünung und die horizontale Dachbegrünung. In Deutschland lässt sich feststellen: Die horizontale Dachbegrünung wird seit einigen Jahren immer beliebter. Deswegen gibt es hier inzwischen auch Hinweise der Obersten Baubehörde, worauf zu achten ist.
Die
vertikale Fassadenbegrünung ist – noch – selten und deshalb auch in der
Bauordnung – noch – nicht vorgesehen. Bei der
Frage, ob man die Fassade bepflanzen darf, ist außerdem die Gebäudeklasse entscheidend.
Sind die Baustimmungen in Deutschland in Hinblick auf den Brandschutz ausreichend?
Ja, die deutschen Bestimmungen sind gut und ausreichend. Auch wenn jedes Brandopfer eines zu viel ist, muss man festhalten, dass sich die Zahl der Brandtoten in den vergangenen 20 Jahren halbiert hat. Das zeigt, dass unser Brandschutz besser geworden ist.
Informationen von Dr. Andreas Ebert
Justiziar der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau
Die Sanierungszeit am Mandarin Oriental Hotel in London dauerte etwa zwei Jahre. Was passiert, wenn sich Bauvorschriften während der Sanierungsphase ändern? Muss dann umgeplant werden? Und wer trägt die Kosten?
Für das Londoner Hotel gilt natürlich das britische Baurecht, zu dem wir keine Detailfragen beantworten können. Bezieht man die Frage auf Deutschland, muss man zwischen öffentlichem Recht und Zivilrecht unterscheiden. Es ist möglich, dass es zivilrechtliche Streitfälle gibt, obwohl man nach öffentlichem Recht korrekt gehandelt hat. Im öffentlichen Recht muss die Planung und Ausführung dem Rechtstand entsprechen, der zum Zeitpunkt der Antragstellung gegolten hat. Im Zivilrecht kommt es hingegen auf den Zeitpunkt der Abnahme an.
Was regelt das öffentliche Recht beim Bauen?
Die Bayerische Bauordnung, kurz: BayBO, stellt das in Bayern gültige öffentliche Recht dar. Streitfälle entscheiden die Verwaltungsgerichte. An die Bayerische Bauordnung müssen sich öffentliche wie private Bauherren gleichermaßen halten. Sie gilt also für Einfamilienhäuser genauso wie für Schulen. Die Bayerische Bauordnung legt Mindestanforderungen an das Bauen fest, wobei sie sich meist an den sog. „anerkannten Regeln der Technik“ orientiert, aber auch von diesen abweichen darf.
Was sind „anerkannte Regeln der Technik“?
Anerkannte Regeln der Technik sind häufig in Normen, z.B. DIN im deutschen Bereich oder Eurocodes im europäischen Bereich, festgeschrieben. Eine anerkannte Regel der Technik muss drei Punkte erfüllen:
Es kann aber auch anerkannte Regeln der Technik geben, die nicht in einem Regelwerk festgehalten sind, aber dennoch Gültigkeit haben. Im Zweifel entscheidet ein Gericht, ob ein Vorgehen den „anerkannten Regeln der Technik“ entsprochen hat oder nicht. Veranschaulichen können wir das vielleicht besser an einem Beispiel, das nichts mit Bauen zu tun hat. Stellen Sie sich vor, Sie haben Fieber. Sie können jetzt ein Medikament nehmen, dessen fiebersenkende Wirkung in Studien nachgewiesen und in einem offiziellen Dokument festgeschrieben wurde. Das entspräche im übertragenen Sinne einer Norm und wäre damit eine anerkannte Regel der Technik.
Sie können aber auch Wadenwickel machen und sich darauf berufen, dass diese seit Generationen angewandt werden und nach mehrheitlicher Erfahrung Fieber senken. Im Streitfall müsste dann ein Gericht entscheiden, ob tatsächlich eine langjährige Praxis darauf schließen lässt, dass Wadenwickel Fieber senken. Falls das Gericht ihre Meinung teilt, wäre auch der Wadenwickel eine anerkannte Regel der Technik.
Was regelt das Zivilrecht beim Bauen?
Zivilrechtlich
schuldet der Planer bzw. die Baufirma nach ständiger Rechtsprechung des BGH dem
Bauherrn ein Bauwerk, das den anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme entspricht.
Ändern sich die anerkannten Regeln der Technik im Zeitraum der Bau- bzw. Sanierungsphase,
so muss der Planer bzw. die Baufirma den Bauherrn darauf hinwiesen und
anbieten, die nun ggf. notwendigen Änderungen umzusetzen. Die entstehenden
Mehrkosten muss der Bauherr tragen. Der Bauherr darf jedoch entscheiden, dass er
die neuen anerkannten Regeln der Technik nicht umgesetzt haben will und ihm
stattdessen die alten ausreichen. Der Planer bzw. die Baufirma muss den
Bauherrn über mögliche Konsequenzen seiner Entscheidung aufklären und
nachweisen können, dass eine solche Aufklärung stattgefunden hat.
Ein Beispiel: Der Bauherr kann entscheiden, dass er keine Trittschalldämmung haben möchte, da er selbst in dem Haus lebt und sich nicht daran stört, wenn mal der Boden knarzen sollte. Der Planer oder die Baufirma sollten ihn aber z.B. darauf hingewiesen haben, dass er bei seiner Entscheidung auch in Betracht ziehen sollte, dass er das Haus vielleicht einmal vermieten will und knarzende Böden zu geringeren Mieteinnahmen führen können.
Es gilt eine Gewährleistungszeit von 5 Jahren beginnend ab dem Zeitpunkt der Abnahme. Zivilrechtliche Entscheidungen fällen die Landgerichte.
Gibt es grundlegende Unterschiede in der Rechtsprechung im Baurecht in Deutschland und Großbritannien?
Ja, gibt es. In Großbritannien gilt das sog. „case law“-Prinzip. Das bedeutet, dass sich die Gerichte bei aktuellen Entscheidungen an ältere Entscheidungen anlehnen. Das geschieht in Deutschland zwar auch, vorrangig wird aber nach Gesetzen entschieden, die z.B. im BGB verankert sind.
Bildquelle Foto Grenfell Tower: Natalie
Oxford [CC BY 4.0], via Wikimedia
Commons
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