13.12.2017 - München
Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, zeigt anhand der vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, die unsere Zivilgesellschaft zum Funktionieren braucht, warum die am Bau tätigen Ingenieure Gestalter der Gesellschaft sind - und zwar mehr, als uns gemeinhin bewusst ist.
Die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, die unsere Zivilgesellschaft zum Funktionieren braucht – sie wurden von Bauingenieuren geplant und errichtet. Der Bauingenieur bzw. Zivilingenieur ist Gestalter der Gesellschaft, mehr als uns gemeinhin bewusst ist.
Dies ist nachweislich bereits seit fast 4000 Jahren durch den Codex Hammurapi belegt. König Hammurapi verfasste ihn ca. 1750 v. Chr und verfügte darin im Artikel 229: „Wenn ein Baumeister für jemanden ein Haus errichtet, dessen Konstruktion nicht fest genug ist, so dass das Haus einstürzt und den Tod des Bauherrn verursacht, so soll dieser Baumeister getötet werden.“ Die Baumeister sollten also einerseits Behausungen schaffen, die das Leben der Menschen erträglich machten, indem das Haus vor Wetter und Feinden schützte. Andererseits trugen sie gleichzeitig auch die Verantwortung dafür, dass das Haus selber nicht zur Gefahr wurde. Bereits vor 4000 Jahren also waren Bauingenieure die verantwortlichen Gestalter der gesellschaftlichen Infrastruktur.
Errungenschaften der Technik heute selbstverständlich
Als circa 2000 Jahre später bereits eine gewisse Urbanisierung eingesetzt hatte, veranlassten das „wilde Bauen“ und die hygienischen Probleme den römischen Architekten Vitruv im ersten Jahrhundert v.Chr. dazu, Ordnung ins gesellschaftliche Chaos zu bringen. Und so befasste er sich in seinen „Zehn Büchern über Architektur“ unter anderem mit dem Anlegen von Städten und deren Wasserversorgung. Zu Vitruvs Zeiten wurden bereits Warmluftheizungen eingebaut, so genannte Hypokausten, die heute wieder eine Renaissance erfahren. Wären seine Schriften im Mittelalter noch bekannt gewesen, so hätten mit großer Sicherheit viele damalige Seuchen verhindert werden können.
Heute sind all diese Errungenschaften der Technik für uns
so selbstverständlich, dass wir nur darüber nachdenken, wenn einmal etwas nicht
funktioniert. Die heutige Bezeichnung Infrastruktur setzt sich aus den beiden
lateinischen Wörtern „infra=unterhalb“ und „structura=Zusammenfügung“ zusammen
und bedeutet nichts Anderes als Unterbau der Gesellschaft oder auch Unterbau
einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft.
Ohne technische Infrastruktur keine soziale Infrastruktur.
Die kommunale Infrastruktur setzt sich zusammen aus der
sozialen und der technischen Infrastruktur. Dabei umfasst die soziale
Infrastruktur Bereiche wie das Bildungs- und Gesundheitssystem, Fürsorge- und
Kultureinrichtungen, soziale Sicherungen, Sport, Freizeit und öffentliche
Sicherheit. All diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten moderner
Gesellschaften aber kann es nur geben, wenn Architekten und am Bau tätige
Ingenieure die dazugehörigen Schulen, Altenheime, Gemeindehäuser und
Kindergärten bauen. Und selbst das alleine reicht nicht aus: All die Gebäude
müssen ver- und entsorgt werden, sie sollen gesund sein und man muss sie sicher
erreichen können. Und aus diesem Grund bedarf es auch der von am Bau tätigen
Ingenieuren geplanten technischen Infrastruktur samt Trinkwasserversorgung,
Müllentsorgung, Heizung und Energie, der E- und Kommunikationstechnik und der
sicheren Verkehrsinfrastruktur.
Soziale Infrastruktur gibt es nicht ohne technische
Infrastruktur. Mit jeder neuen Schule und mit jeder neuen Wohnung greifen wir allerdings
auch immer in die Natur ein. Solange Gesellschaften und Volkswirtschaften
wachsen, verbrauchen wir Land. Dies aber auch auf eine ökologisch sinnvolle Art
und Weise zu tun, liegt nicht zuletzt in der Verantwortung der am Bau
beteiligten Ingenieure. Schließlich ist es für den Fortbestand unserer
Gesellschaft von besonderer Bedeutung, dass all diese Infrastrukturen in ihrer
Gesamtheit nachhaltig, umweltverträglich und gesund sind. Dies zu garantieren
ist die Aufgabe aller am Bau tätigen Ingenieure.
Ingenieure sind Gestalter der Gesellschaft
Die vielen Renaturierungsmaßnahmen der vergangenen Jahre
wurden wesentlich von Bauingenieuren geplant und umgesetzt. Die großen
gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel, demografischer Wandel,
Urbanisierung, Digitalisierung und neue Mobilität müssen in Einklang mit den
gesellschaftlichen Forderungen zum Beispiel nach Sicherheit und Gesundheit gebracht
werden. Mit diesen Aufgaben wendet sich die Gesellschaft an Architekten und am
Bau tätige Ingenieure. Sie werden subsidiär tätig, um gesellschaftliches Leben
möglich zu machen. Hierin sehen sie ihre Berufung. Die am Bau tätigen
Ingenieure sind somit nicht nur der Unterbau der Gesellschaft, sondern ihr maßgeblicher
Gestalter.
Kolumne von Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, veröffentlicht in der Bayerischen Staatszeitung vom 15.12.2017.
Kolumne in der Bayerischen Staatszeitung
Die Bayerische Ingenieurekammer veröffentlicht einmal im Monat eine Kolumne zu aktuellen Themen in der Bayerischen Staatszeitung. Hier nehmen die Mitglieder des Vorstands der Kammer Stellung zu Themen aus Bauwesen, Politik und Gesellschaft.
Hier haben wir Ihnen alle Kolumnen zum Lesen oder als Download bereitgestellt.
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